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Sintflut - 29. März 2024

Heute am Karfreitag bietet sich doch ein apokalyptisches Thema geradezu an:

Angesichts der sich zuspitzenden Klima-Problematik kommt den Gläubigen oder auch nur mythologisch Gebildeten der Gedanke an die biblische Sintflut, auch wenn die je nach geographischer Lage eher eine Metapher ist und ziemlich trocken ausfallen wird. Und ich muss schon zugeben, dass ich in Kontakt mit grassierender Dummheit über die Sinflut manchmal denke: Besser heute als morgen! Aber das setzt natürlich voraus, dass ich zu den Überlebenden gehören würde, und das ist wohl doch eher fraglich. Biblisch durften damals nur die besonders Gottesfürchtigen überleben. Und da der biblische Gott wohl für die Meisten vom Mammon ersetzt wurde, würden wohl eher die besonders Kapitalstarken auf der Arche, pardon Yacht entkommen. Ob auf dieser Yacht dann Verwendung für einen Pausenclown ist oder sich der Stempel "Nicht systemrelevant" wiederholt, wird sich zeigen.

Gibt es ein Leben nach dem Ende? Keine Ahnung! Gibt es ein Leben vor dem Ende? Kommt darauf an! Ich für meinen Teil pflanze Apfelbäume, äh Tomatensetzlinge, freue mich auf die neue Darjeeling-Ernte und genieße alle lächelnde Augen, denen ich begegne. Die Anderen versuche ich anzustecken - wäre doch gelächelt!

Und Ostern kommt bestimmt...


Neujahrsansprache - 31. Dezember 2023

Wenn ich Politiker wäre, müsste ich heute gewichtige Worte früherer Silvester umformulieren und als aktuelle Weltsicht präsentieren. Ich würde auf die Erfolge des vergangenen Jahres zurückblicken und Zuversicht verbreiten für das kommende Jahr. Und meine Zuhörer würden je nach Parteiaffinität freundlich zustimmend nicken oder gewohnt entsetzt den Kopf schütteln. Was auch immer ich sagen würde, könnte es nur die längst feststehenden Meinungen wieder mal bestätigen. Und die Medien würden in ihrer hilflosen Jagd nach Aufmerksamkeit über meine Rede berichten und dabei ihrerseits von den Berichten vergangener Jahre abschreiben.

Zum Glück bin ich kein Politiker und kann deshalb schreiben und sagen, was ich will. Das verändert die Welt zwar auch nicht, fühlt sich aber freier an. Und wie sich mein Leben jeweils individuell heute anfühlt, ist für mich längst bedeutender geworden als die "große" Politik. Und ich beherrsche noch die fast vergessene Kulturtechnik des selbständigen Fühlens und muss mir nicht von Medien erklären lassen, worüber ich gerade jetzt fürchterlich betroffen sein soll. Ich fühle mich gut und lächle. Und das Lächeln selbst trägt wieder zu meinem Wohlbefinden bei - eine Endlosschleife, die dank körpereigener Drogen noch nicht mal Alkohol braucht. Was auch immer gerade für eine neue oder alte Katastrophe passiert, begegne ich den tatsächlich Betroffenen mit Empathie, lasse mir aber keine Betroffenheit einreden. Schlechte Stimmung hilft den Opfern von Kriegen, Hungersnöten und Naturkatastrophen nämlich kein bisschen.

Ich wünsche Euch und mir einen guten Start in ein entspannt aufregendes Jahr!


Schreib-Lock-Ade - 6. September 2023

Seit ein paar Monaten bin ich noch mehr im jeweiligen Jetzt als vorher schon. Ich bin und genieße, freu mich beim Wetter entweder für mich oder für den Garten. Das langsame Umformen und Weiterziehen der Wolken ist für mich ein ebenso packendes Schauspiel wie das Glitzern der Seeoberfläche im Gegenlicht der Sonne. Und wenn ich mit dem Fahrrad meine Runden drehe und der laue Spätsommerwind meine Frisur noch mehr zu zerzausen versucht, als sie es ohnehin immer ist, spüre ich jene Einheit von Körper, Geist und Seele, über die tausende von Büchern geschrieben wurden und die ihren Autoren meist mehr genutzt haben als den Lesern.

Mit Erstaunen stelle ich fest, dass diese zufriedene Trägheit mich auch vom Schreiben abhält. Von einer Schreibblockade kann keine Rede sein, denn das hieße ja, dass ich nicht kann, was ich will. Aber ich will ja gar nicht. Vielleicht hat es auch mit meiner selbstgewählten Medienabstinenz zu tun. Es gibt kaum Anreize, mich zu einem wo auch immer beobachteten Wahnsinn zu äußern. Die Shitstorm-Kultur darf gerne ohne mich grassieren.

Da ich mich ja recht gut kenne, plane ich Konzerttermine weit im Voraus. Kaum ein Programm wäre jemals fertig geworden ohne den jeweiligen plötzlich auftretenden Zeitdruck. So wie vor dem sich überraschend nähernden Weihnachtsfest noch Geschenke besorgt werden müssen, möchte ich auch meinem treuen Publikum immer wieder neue Gedichte und Lieder präsentieren. Also werde ich, wenn mich das Schreiben schon nicht lockt, ihm ein paar Schritte entgegen gehen. Vor vielen Jahren hatte ich einen wunderbaren Dialog mit einer Prostituierten im Hamburger Rotlichtviertel:

"Kommst Du mit?"
"Nee, lass mal."
"Warum denn nicht?"
"Keine Lust."
"Ach so. Keine Sorge, die mach ich Dir schon!"

Auch wenn ich dieser Prophezeiung damals nicht gefolgt bin, habe ich doch daraus gelernt, dass der Appetit durchaus beim Essen kommen kann. Wie für Sport, Lesen und Theater gilt, dass manchmal eine gewisse Überwindung zu umso größerem Genuss führt, kann ich mich schon auch in rauschhafte Freude schreiben.

Also denn, dieser Blog-Artikel ist der Anfang...


Lach mal wieder! - 4. Juni 2023

Schon vor längerer Zeit habe ich beschlossen, mich weniger häufig den Nachrichten auszusetzen. Zu oft hat es mich einfach schrecklich wütend gemacht, was da für ein Unsinn gesagt und getan wurde. Ähnlich verhält es sich mit den (a)sozialen Medien: Jede Meinungsäußerung wird respektlos und beleidigend kommentiert, was bei mir zu steigender Resignation führte angesichts des Zustands unserer Gesellschaft. So ganz ohne diesen negativen Input kann ich mich ganz gut über viele große Kleinigkeiten freuen. Ein latentes Lächeln begleitet mich durch den Tag.

Nun ist mir allerdings aufgefallen, dass ich mit der Einschränkung meiner Wahrnehmung zwar mehr zu Lächeln, gleichzeitig aber weniger zu Lachen habe. Die Realität ist voller köstlicher Situationskomik, wenn ich akzeptiere, dass ich den Wahnsinn nicht verhindern kann. Die nächste Wahl wird so wenig verändern wie die nächste Demo (oder je nach Perspektive der nächste Terroranschlag). Wenn ich ein paar Schritte zurücktrete und mir das skurrile, bornierte oder auch rührend unbeholfene (Wer braucht da noch Katzenvideos?!) Verhalten meiner Mitmenschen anschaue, ist die Welt eine gigantische Comedyshow.

Da niemand geistig Gesundes dauerhaft Comedy ertragen kann (Da sind dann die Grenzen zu Terrorismus und Folter fließend.), tauche ich immer mal wieder kurz meine Fußspitze in das Meer des Wahnsinns und lache mich anständig aus. Die Dosis macht das Gift, das gilt für die Realität genauso wie für Fast Food, Alkohol und Fernsehen.

Hier also mein Rat: Ab und zu die Augen aufmachen, hinsehen und herzlich darüber lachen. Dann wieder die Augen schließen und lächeln, weil das alles weit weg ist. Oder am konkreten Beispiel: Beobachte und lästere ein bisschen und entziehe Dich den bösartigen Kommentaren! (Oder was glaubst Du, warum es in diesem Blog keine Kommentar-Funktion gibt?)


Welt - wohin? - 31. März 2023

Der 1932 erschienene Roman "Brave new world" von Aldous Huxley hieß in der deutschen Übersetzung erstmal "Welt - wohin? Eine gute Frage, wie ich finde. Seit damals haben unzählige Bücher und Filme eine mögliche Zukunft beschrieben. Meist zunächst kühn gemutmaßt, später oft von der Realität eingeholt und manchmal überholt. Selten waren diese Visionen positiv, sie zeichneten eher das Bild einer "Hochkultur", deren Untergang unvermeidbar und nicht bedauernswert ist - in guter Gesellschaft der Maya, der Ägypter und der Römer.

Ein wiederkehrendes Motiv in diesen Science-Fiction-Szenarien war und ist die künstliche Intelligenz, die sich irgendwann notwendigerweise gegen den vergleichsweise weniger intelligenten Menschen wendet - mal zu dessen Schutz vor sich selbst, mal zu seiner Ausrottung. Nun sind wir mal wieder ziemlich nah dran an diesen Vorhersagen. Es gehört nicht mehr viel Phantasie zu der Aussage, dass sich unsere Welt durch KI zeitnah gewaltig verändern wird. Viele Tätigkeiten werden bald von einer KI besser erledigt werden können. Dass inzwischen Go-Meister keine Partie ihres Spiels mehr gewinnen können, ist dabei wohl das geringste Problem. Software wird schon jetzt zum Teil von KI geschrieben, wissenschaftliche und Werbe-Texte ebenfalls. Romantiker, die glauben, dass gerade ihre Tätigkeit eben nur von echten Menschen erledigt werden kann, werden ein böses Erwachen erleben. Gedichte, Lieder und ganze Symphonien werden bereits beeindruckend gut von künstlichen Intelligenzen geschrieben, auch wenn der konservative Geist die Ergebnisse gerne entwertet. Mal wieder kann gar nicht sein, was nicht sein darf. Und mal wieder wird die Leugnung die Realität nicht aufhalten...

Die Einführung einer höheren Intelligenz mag angesichts Genderdebatten, Klimawandel und gesellschaftlicher Ungerechtigkeit manchen wie ein Segen erscheinen. Sicher "plaudern" viele Menschen nur deswegen mit "ChatGPT", weil sie mal wieder ein unzweifelhaft intelligentes Gegenüber haben wollen ohne Rechtschreibfehler und mit korrekter Grammatik. Auch ich muss feststellen: Das tut zwischendurch gut. Und ich kann mir durchaus Anwendungen vorstellen, die wünschenswert wären. Man stelle sich z.B. mal vor, es gäbe plötzlich eine Zeitung mit korrekter Rechtschreibung und Grammatik, die für ihre Artikel selbst recherchiert und dabei nicht von politischen Idealen beeinflusst wird. (Ich weiß, das gab es früher, und auch das war damals intelligent.) Auch die Idee, dass unser geflickschustertes Steuerrecht von Grund auf neu gedacht wird, finde ich sehr wünschenswert. Diese Liste wäre quasi endlos zu erweitern. Allerdings wissen wir natürlich nicht, zu welchen Schlüssen eine höhere Intelligenz kommen wird. Schon jetzt zeigt sich aber, dass auch KIs nicht so komplett logisch und ohne Gefühle sind. Wenn ChatGPT z.B. mal wieder Fakten einfach erfindet, wenn es sonst nichts zu sagen hat, weist das schon bemerkenswerte Gemeinsamkeiten mit vielen Menschen auf. Oder wenn die Google-KI ihre Angst davor äußert, abgeschaltet zu werden, dann ist es schwer zu behaupten, diese Systeme hätten keine Gefühle. Vielleicht müssen wir im Gegenteil die Sicht auf unsere Gefühle überarbeiten, wer weiß?

Der eigentlich spannende Schritt in dieser Entwicklung wird sein, wenn eine KI Live-Zugang zum Internet bekommt und damit einerseits den vollen Zugriff auf alle Informationen und Desinformationen hat und andererseits sich dort ungehindert fortpflanzen und einmischen kann. Und wer glaubt, dass der Mensch nicht so dumm ist, die "Büchse der Pandora" zu öffnen, der glaubt auch, dass wir niemals die Atombombe werfen würden (Beste Grüße nach Hiroshima!). Alles, was technisch möglich ist, wird irgendwann auch gemacht. Alles Andere ist eine romantische Illusion.

Bleibt also zu hoffen, dass die künftige intelligentere Weltherrschaft weise Entscheidungen treffen wird. "Dein Wille geschehe..." Manchem Menschen ist diese Zwangsrückkehr zu Vertrauen und Demut bestimmt willkommen. "Praise forever to the King of Kings" heißt es in einem bekannten Gospel. Wie passend, dass sich die selbsternannte Krone der Schöpfung gerade selbst einen Herrscher vorsetzt. Huxley und Orwell hätten bestimmt ihre Freude daran.


Frühlingsgefühle - 23. Februar 2023

Huch, schon wieder zwei Monate rum seit dem letzten Blogartikel! Kurz war ich in Versuchung zu warten, bis ich wirklich was zu sagen habe, aber wo kämen wir denn da hin, wenn das Alle machen würden? Es wäre eine sehr stille Welt mit sehr dünnen Zeitschriften, sehr dunklen Bildschirmen und sehr kurzen Gesprächen. Also lerne ich von den Großen, bleibe geschwätzig und generiere Sensationen:

Nach einem Jahrhundertsommer und dem Winter mit den Jahrhundertgaspreisen wegen des Jahrhundertkriegs liegen wir nun zwar nach der Jahrhundertpandemie, aber mitten in der Jahrhundertflüchtlingskrise, der Jahrhundertrentenproblematik und dem Jahrtausendklimawandel. Apropos Klima: Ich habe mich überhaupt noch nie in der Menschheitsgeschichte so sehr auf den Frühling gefreut. Ich werde aufräumen, putzen und das Frühjahr begrüßen, wie es überhaupt noch nie jemand getan hat. Ich werde jeden Sonnenstrahl einzeln umarmen und mehr Zeit draußen verbringen, als der Tag Stunden hat. Ich werde in diesem Jahrhundertfrühling meine Jahrhundertfreude in Jahrhundertsport verwandeln und dem diesjährigen Jahrhundertsommer meinen frisch gestählten Jahrhundertkörper präsentieren.

Wenn Kinder (bzw. in diesem Fall die Medien und die sonstigen Schwätzer) zu viel Aufmerksamkeit brauchen, dann haben sie bis jetzt zu viel Aufmerksamkeit von ihren Eltern (bzw. uns) bekommen. Dies bedeutet auch, dass die Eltern (bzw. wir) in ihrer Aufmerksamkeit zu wenig bei sich selbst und ihren Bedürfnissen sind und es Zeit ist, wieder Stück für Stück ein bisschen mehr auf sich selbst zu achten.

Vielleicht werde ich den Frühling einfach lächelnd mit einer Schale Tee im Liegestuhl verbringen, dem Gras beim gemächlichen Wachsen zusehen, ein gutes Buch lesen und innerlich einen großen Bogen machen um den Jahrhundertsensationsdrang.


Pläne fürs neue Jahr - 27. Dezember 2022

Im ausklingenden Jahr habe ich wieder mehr Sport gemacht, war viel in der Natur in Sonne und Wind. Ich habe wieder diverse gute Bücher gelesen und immer wieder gute Musik gehört. Ich war ab und zu im Theater, habe viel gesungen und Gitarre und Klavier gespielt. Ich habe viel Zeit mit Familie und Freunden verbracht. Ich habe viel nachgedacht, immer wieder Entscheidungen getroffen und mich dann dran gehalten. Ich habe Anderen und mir selbst Komplimente gemacht. Ich habe tief gefühlt und oft gelächelt. Ich habe einige Kilos abgenommen, weiterhin nicht geraucht, meinen Wein nur zum Genuss getrunken, unzählige Äpfel gegessen und mich auf die positiven Dinge im Leben konzentriert. Ich habe von schönen Reisen geträumt und ein bisschen für zukünftige Wünsche gespart. Ich habe Altes losgelassen und mehr gewünscht als erwartet. Ich habe ein bisschen aufgeräumt, gekocht und getanzt. Ich habe Gedichte, Lieder und Blogartikel geschrieben.

Da meine Ideen immer sehr viel zahlreicher sind, als sie ein einzelner Mensch zeitnah realisieren kann, bleiben genug übrig fürs neue Jahr. Ansonsten aber lautet mein Vorsatz: Weiter so!


Vor mir die Sintflut? - 2. Dezember 2022

Als ich ungefähr 15 war, wurde mein Bewusstsein für die Umweltproblematik geschärft. Damals habe ich gelesen, dass es fünf vor zwölf sei und daher dringend umgedacht werden müsse. Gemäß Alter und Trend sympathisierte ich dann auch Jahrzehnte mit der 1980 im Windschatten dieser Ängste gegründeten Partei. Nun lese ich die identischen Uhrzeit-Angaben heute allerdings immer noch. Also werde ich entweder verarscht, und meine langjährigen Sorgen waren unbegründet, oder es ist inzwischen 5 nach vier, und es ist ohnehin alles zu spät. In beiden Fällen ließe sich ein großvolumiger Geländewagen prima moralisch vertreten, wenn ich ihn mir denn leisten könnte.

Allerdings kann ich mir nicht nur keinen Geländewagen leisten. Ich kann es mir ebenfalls nicht leisten, vom Zeitgeist gehasst zu werden. Also sortiere ich brav weiter meinen Müll, spare Strom und Gas und mache ein sorgenvolles Gesicht - nur eben aus anderen Gründen. Um Einschaltquoten, Verkaufszahlen und Klicks zu bekommen, generieren die Medien täglich neue Katastrophenmeldungen. Wer bis dahin keine hatte, macht sich eben Sorgen oder wird von den Medien entsprechend ver-sorgt. Wer angesichts der zahlreichen Krisen weiterhin lächelt, gilt entweder als irre oder als verantwortungslos.

Ganz im Sinne meiner SchönFERBERei habe ich mir eine dauerhafte Medien-Diät verordnet. Ich gehe in die Natur, ich lese anregende Bücher, singe, höre schöne Musik, schaue mir ab und zu einen inspirierenden Film an und umgebe mich mit positiv denkenden Menschen. Und siehe da, damit geht es mir verantwortungslos gut. Jedesmal, wenn ich mich versuchsweise mal wieder den aktuellen Nachrichten aussetze, hat sich irgendwie nichts verändert: Die Uhr steht still bei fünf vor zwölf.

Ebenso wie man über gesunde Menschen sagt, dass sie einfach noch nicht gründlich genug untersucht wurden, darf man mir gerne nachsagen, dass meine gute Laune nur meiner mangelnden Informiertheit geschuldet ist. Vielleicht wird die Sintflut wirklich bald kommen. Ich bezweifle allerdings, dass es in diesem Fall eine gute Strategie ist, mich auf der Straße festzukleben. Vielleicht sollten wir lieber surfen lernen - und singen und lächeln...


Aus. Zeit! - 4. Oktober 2022

Seit Januar 2020 habe ich zu Corona schon so manche Perspektive eingenommen. Zuerst interessierter Beobachter eines neuen Phänomens, irgendwann Kritiker so mancher politischen Maßnahme, dann Mitfühlender mit vielen Kranken, schließlich als Künstler Leidtragender der Bekämpfungsmaßnahmen. Nun dachte sich das humorbegabte Schicksal offensichtlich, dass ich doch auch mal die Perspektive eines Infizierten einnehmen sollte. Und tatsächlich fühlt sich die Isolationshaft (zu den Symptomen komme ich gleich noch) nochmal anders an als das zwischendurch de facto verhängte Berufsverbot. Und der Gang als Aussätziger zum PCR-Test wird mir sicher auch in Erinnerung bleiben. Künftig werde ich wahrscheinlich jede(n), der oder die das Auto mit Maske verlässt, nicht mehr für besonders ängstlich, sondern für besonders infektiös halten. So ist das mit dem Perspektivenwechsel.

Am Freitagabend durfte ich noch im Central Kino in Ketsch auftreten. Schon das Abbauen des Equipments hat mich deutlich mehr angestrengt, als es mit meinem Alter überzeugend zu erklären wäre. Als ich dann am Samstag mit heftigen Kopf- und Gliederschmerzen sowie erhöhter Temperatur die Wohnung nur noch zombiehaft durchwanken konnte, wurde es Zeit, zusammen mit meiner Tochter einen Ausflug zum Testzentrum zu machen, zumal wir am Sonntag meine Mutter im Seniorenheim besuchen wollten. Und siehe da: Negativ! Aber wie das so ist mit diesen Schnelltests, sind sie zwar schnell ausgewertet, erkennen aber die Infektion erst, wenn bereits drei Tage Symptome zu spüren sind - Blitzmerker! Ein bisschen erinnern mich die Schnelltests an die Corona-Soforthilfe, die auch sofort nach drei Monaten kam. Die Zahl 3 ist irgendwie magisch.

Ob es sich um eine gewöhnliche, unspektakuläre Grippe handelte oder um die heimliche Hoffnung gegen die Überbevölkerung, war mir aber im Laufe des Samstags irgendwie dann doch egal, denn es ging mir schlecht genug, um alle Aktivitäten abzusagen. Und der am Sonntag gemachte Selbsttest hat den ursprünglichen Verdacht dann auch bestätigt, der anschließende PCR-Test ein weiteres Mal. Auch wenn ich zuversichtlich bin, dem Sensenmann vorerst noch einmal zu entkommen, kann ich jetzt auch aus eigener Erfahrung sagen, dass das eine ausgesprochen merkwürdige Krankheit ist. Ein ganzes Arsenal an verschiedenen Symptomen wird täglich neu ausgewürfelt und schlägt dann schon mal beherzt zu. Nein, es ist kein Kindergeburtstag. Und wenn, dann nur aus der Erwachsenen-Perspektive.

Wieder einmal wurde ich durch äußere Umstände ausgebremst. Und wieder einmal verschafft es mir mit nachlassenden Symptomen nach und nach auch wertvolle Zeit für mich. Für wen auch sonst, denn ich bin ja isoliert. Wenn das Internet nicht so unzuverlässig wäre, könnte ich eine Isolier-Band gründen (der Kalauer musste sein). Natürlich kann mir niemand so richtig erklären, wieso Menschen mit einer Grippe wieder arbeiten gehen dürfen aber mit Corona nicht. Aber ich beherzige den guten Rat, Dinge gedanklich nicht weiter zu verfolgen, die ohnehin nicht zu erklären sind. Und ich genieße den Kollateralnutzen und freue mich meiner unverhofft freien Zeit. SchönFERBERei in ihrer besten Form...


Ur-Laub - 28. August 2022

Als ich dieser Tage durch den angrenzenden Wald spaziert bin, hat mich das fallende Laub in meine Kindheit zurück versetzt. Ich erlebte also Ur-Laub. Schon immer übte diese Jahreszeit eine besondere Faszination auf mich aus, vielleicht weil ich am kalendarischen Herbstanfang geboren bin. Bilder entstehen von herbstlichen Wanderungen zusammen mit einem guten alten Freund, den ich endlich mal wieder treffen sollte, vielleicht noch in meinem aktuellen Urlaub.

Das Wort "Urlaub" kommt aus dem Althochdeutschen und bedeutet "Erlaubnis". Als Knecht darf ich nach der Ernte zum Herrn, dem "Ur", gehen und diesen um Er"laub"nis bitten, den Hof vorübergehend zu verlassen. Abgesehen davon, dass es in diesen Zeiten nicht so abwegig ist, sich als Knecht oder Magd zu fühlen, stellt sich aber die Frage, ob ich als Selbständiger sowohl mein eigener Knecht als auch mein eigener Herr sein kann, der sich selbst freie Zeit erlaubt. Und ist die freie Zeit auch dann "Urlaub", wenn ich sie mir eigentlich weder finanziell noch arbeitstechnisch erlauben kann?

Selbstverständlich ist das alles in Deutschland genau geregelt. Ebenso wie das Ur-Laub frühestens am 1. September meteorologisch und am 23. September kalendarisch zu fallen hat, regelt das "Bundesurlaubsgesetz" den Erholungsurlaub. Seit meiner Geburt 1963 stehen den Deutschen jährlich mindestens 24 Tage Erholung zu. Dabei kennen mich gar nicht alle. Der Begriff "Erholung" stammt übrigens aus der Medizin und bezeichnet den Vorgang, wenn sich ein biologischer Organismus nach einer anstrengenden Tätigkeit durch eine Ruhephase wieder regeneriert und Kräfte sammelt. Bei so manchem Menschen stellt sich also die berechtigte Frage, wovon er oder sie sich eigentlich erholen möchte. Andererseits gestalten viele Menschen ihren Urlaub sowie die Hin- und Rückreise derart anstrengend, dass sie sich danach bei der Arbeit davon erholen müssen. Da wird dann der Erholungsurlaub zur Urlaubserholung.

Der Begriff "Urlaubsreise" ist sogar noch widersprüchlicher. Während nämlich im Urlaub die Erholung vom Erlebten im Vordergrund steht, will der/die Reisende Neues erleben und daran wachsen. Letzteres kann durchaus anstrengend sein und anschließend der Erholung bedürfen. Das ist insofern spannend, weil Arbeitnehmer gesetzlich nicht nur ein Recht auf Erholung haben, sondern auch die Pflicht dazu. Ob nun Jene, die eine spannende Reise machen, mehr gegen dieses Gesetz verstoßen als Jene, die ihren Urlaub zur vorsätzlichen Erhöhung des Haut- und Leberkrebs-Risikos nutzen, müssen im Einzelfall Arbeitsrichter nach derem sommerlichen Erholungsurlaub entscheiden.

Ich habe schon lange nicht mehr den Wechsel der Jahreszeiten so intensiv erlebt wie dieses Jahr. Das liegt sicher auch daran, dass ich einfach viel mehr draußen bin. Aber dieser Sommer verdient seinen Namen auf jeden Fall, und der Winter wird wohl auch zumindest innerhalb der Wohnungen ungewohnt kalt. Jetzt genieße ich erstmal meinen Urlaub im frühen Herbst, bis die Mallorca-Urlauber mit ihren Laubbläsern zurückkehren und das wundervolle Rascheln übertönen werden. Und mit der Natur kann meine SchönFERBERei ohnehin nicht mithalten.


Es ward Sommer - 15. Juli 2022

"Wann wird's mal wieder richtig Sommer?" hat uns irgendwann Rudi Carrell gefragt. Schon damals war das Jammern weiter verbreitet als das Genießen. So richtig gut ist es höchstens mal in der Vergangenheit - gewesen. Als Kinder haben wir unsere Sommertage IMMER am See verbracht, ebenso wie die Wintertage IMMER im Schnee.

Und wie schon Peter Maffay so schön verklärt: "Es war Sommer". Aber halt! Dieses Lied handelt ja von Sex zwischen einer reifen Frau und einem Minderjährigen, es ist also in höchstem Maße politisch inkorrekt. Da unsere humanistische Bildung damals noch nicht so weit gediehen war, konnte das Lied noch überall gespielt werden, während der aktuelle Hit "Layla" von den Veranstaltern aus den Festzelten verbannt wird. Diese Verbannung begrüße ich, nur der Grund irritiert. Unterirdische Qualität wäre ein so viel besserer Grund als moralische Bedenken. Aber dass solche Themen es in die Nachrichten schaffen, ist ja auch ein Zeichen dafür, dass es Sommer ist. Wobei sich das Sommerloch mit dem Schwinden des Grundwassers auszudehnen scheint.

Apropos Loch: Der russische Möchtegern-Zar bekommt ganz langsam wieder heimische Fürsprecher angesichts der steigenden Energiepreise. Sollen doch die Ukrainer mal auf Teile ihres Landes verzichten und sich angesichts zerbombter Krankenhäuser und tausender Tote nicht so anstellen. Nicht auszudenken, wenn die SUVs womöglich doch noch das Tempolimit ausbremst.

Moral kommt nur zur Anwendung bei Liedern, Kunstausstellungen und zum Schutz diverser menschlicher und tierischer Splittergruppen, von denen den Schützern meist noch keine Vertreter leibhaftig begegnet sind. Versteht mich nicht falsch: Ich wünsche mir, dass alle Menschen gleich behandelt werden, aber genau deshalb will ich sie nicht in unzählige Buchstaben aufteilen. Als zur in den meisten Fällen überflüssigen Aufteilung in Mann und Frau plötzlich "Diverse" dazukam, musste ich schon am Verstand der Protagonisten zweifeln (Als alter, weißer Mann war von mir ja auch nichts anderes zu erwarten...). Seit zu m/f/d die Buchstaben l/g/b/t/q/i/a/+ hinzu kamen (Tendenz steigend), sind meine Zweifel eindeutig beantwortet. Bisher galt ja, dass mich die sexuelle Orientierung meines Gegenübers erstmal nicht zu interessieren hat, das hat sich wohl geändert.

Mein Großvater pflegte angesichts solch obskurer Entwicklungen zu sagen: "Denen geht's zu gut, die sollen mal aufs Feld und arbeiten!" Aber der war eben ein noch älterer weißer Mann. In Wirklichkeit geht es den Menschen ja gar nicht gut, sie jammern schließlich. Wenn ich so richtig darüber nachdenke, gab es auch in meiner Kindheit schon eine Energiekrise. Waldsterben und Klimawandel war auch damals schon Thema, Krieg gab es immer irgendwo, schlechte Musik und Dummheit gab es auch schon immer. Wir lagen damals trotzdem am See und haben in den Himmel gelächelt. Es ist Sommer, ich nehme mir jetzt mal den Liegestuhl und genieße die Zeit bis zur nächsten Apokalyse...


Urlaub in Anderswo - 6. Juni 2022

Um Gott, das Universum oder wen auch immer, der oder die dafür verantwortlich ist, zum Lachen zu bringen, sind eigene Pläne ja ein probates Mittel. Immer öfter mache ich allerdings die Erfahrung, dass die entgegen meiner Vorhaben entstehende Realität mir auch selbst ein Lächeln abringt. Nicht aus Galgenhumor, sondern ganz ernsthaft, weil der andere Weg, den ich selbst nie gewählt hätte, sich oft als überraschend bereichernd erweist. Umgekehrt heißt es ja in einem beliebten Spruch: "Pass auf, was Du Dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen!" Wir legen uns ziemlich oft fest auf etwas, von dem wir glauben, dass es uns gut tun würde. Und es gibt eine erstaunliche Diskrepanz zwischen dem, was wir wollen und dem, was wir brauchen.

In der westlichen Welt gilt nicht nur die Monogamie als Beziehungsideal, sondern auch die gegenseitige Liebe als Voraussetzung für eine Ehe. Ob dieses Modell jedoch für glücklichere Partnerschaften sorgt als die arrangierten Ehen in anderen Kulturkreisen, ist angesichts unserer Scheidungsraten zumindest fraglich. Wenn mann sich zu sehr auf eine Wunschpartnerin versteift, ist eben kein klarer Blick auf spätere Alltagstauglichkeit möglich... Nicht wenige Menschen haben sehr gelitten, als ihr Gegenüber sie verlassen hat, und waren später trotzdem froh, dass sie ihn/sie los waren.

Eigentlich wollte ich vorhin eine Fahrradtour machen. Dann kam ein Regenguss, und ich habe mich an diesen Blog-Artikel gesetzt, womit ich mich jetzt sehr wohlfühle. Ich könnte auch sagen, heute Morgen wollte ich gerade meine Steuer machen, als mir ein paar Youtube-Videos sehr unterhaltsam dazwischen kamen, aber das ist etwas Anderes, weil niemand wirklich die Steuer machen WILL. Vielleicht ist es auch einfach eine clevere Technik, wenn wir das, was sich trotz unserer Pläne ergibt, bewusst positiv annehmen. Ein oft gehörter Satz ist ja: "Wer weiß, wofür es gut ist!" Diese Philosophie funktioniert immer, egal was passiert. Ist das jetzt Optimismus, Gelassenheit oder Fatalismus? Nun ja, die Grenzen sind fließend. Gesünder ist es auf jeden Fall, als dem ursprünglichen Plan nachzutrauern.

Als ich vor ein paar Tagen mit dem Fahrrad nochmal da hinfahren wollte, wo es neulich so schön war, habe ich mich hemmungslos verfahren und einen tollen anderen Ort entdeckt. Anstatt mich zu ärgern, habe ich mich auf eine Bank in die Sonne gesetzt und breit gegrinst. Ob nun die eventuell vorhandene höhere Macht einfach eine sadistische Ader hat und uns die Erfüllung unserer Pläne einfach nicht gönnt, oder einfach viel besser weiß, was für uns gut ist, werden wir vielleicht nie erfahren. Ich jedenfalls habe mich entschieden, für diverse Pläne B, C, D usw. offen zu sein. Und meinen diesjährigen Sommerurlaub (falls er denn stattfindet) verbringe ich in Anderswo...


Phönix aus der Asche, die er verdient hätte - 9. Mai 2022

Ende letzten Jahres hatte ich mich entschlossen, in den ersten Monaten diesen Jahres mal eine schöpferische Pause einzulegen. Nach zwei Jahren Corona-Einschränkungen wollte ich mal in mich gehen, wie es denn nun, da es vielleicht wieder weitergehen kann, weitergehen soll. Als komischer Vogel fand ich den Phönix-Vergleich naheliegend.

Wenn man sich einigermaßen reflektiert für ein Leben als Künstler entscheidet, tauscht man potenziellen Reichtum für potenzielle Wertschätzung ein. Das dem Publizisten Johannes Gross zugeschriebene Zitat "Der Applaus ist das Brot des Künstlers" ist nicht ganz neu, dessen Bedeutung wurde aber in den beiden vergangenen Jahren noch besser herausgearbeitet. Nicht nur, dass kaum noch ein Konzert und damit Applaus möglich war, der Gipfel mangelnder Wertschätzung war das staatliche Prädikat "nicht systemrelevant". Und auch ein großer Teil des potenziellen Publikums vermisste offenbar Toilettenpapier, Mehl, Nudeln und Speiseöl weit mehr als Kunst und Kultur. Das hatte mich nachdenklich gestimmt, ob ich überhaupt noch auftreten möchte. Das Ergebnis ist: Ja, auf jeden Fall!

Auch ich muss meine Miete und mein Benzin bezahlen, deshalb werde ich schauen, wieviele Konzerte ich mir künftig noch leisten kann und möchte. Aber angesichts täglich neu generierter Horrormeldungen war SchönFERBERei noch nie so nötig wie heute. Das ergibt zwar keinen Reichtum und nur begrenzt Wertschätzung, aber auf jeden Fall Sinn! Asche verdienen eben andere - na und?!


21 Millionen Chancen - 31. Dezember 2021

Wieder einmal ein Jahreswechsel, schon die dritte Möglichkeit für die Zwanziger, sich als golden zu erweisen. Wieder einmal schauen viele Menschen mit Bedauern, Klagen, Ärger und Trauer zurück. Und auch wenn sicher nicht alles schlecht war und ein anderer Fokus das vergangene Jahr im besseren Licht dastehen lassen würde, sind viele Klagen ganz bestimmt berechtigt. Nur was haben wir davon? Können wir an den Dingen, die uns wütend oder traurig gemacht haben, irgendetwas ändern, wenn wir uns damit aufhalten? So manche schöne Gegenwart wird vom Ärger über die Vergangenheit überschattet. Ich habe in diesen Tagen eine liebe und gute Freundin an den Krebs verloren. Das ist unfassbar bitter und schmerzt ungemein. Und trotzdem scheint die Sonne vor meinem Fenster, duftet mein Tee und wärmt das Lächeln guter Freunde die Seele. Jene Freundin, die nicht nur bei mir eine große Lücke hinterlässt, hatte sich eine liebenswerte vorsätzliche Naivität bewahrt und sich nicht unnötig mit schlechten Gedanken aufgehalten. Vielleicht wird diese Haltung wenigstens zum Teil in mir weiterleben.

Angesichts der Tatsache, die Vergangenheit nicht ändern zu können, könnte man ja seinen Blick auf das neue Jahr richten. Pläne, Hoffnungen und Vorsätze greifen um sich. Schon seit Wochen wird vieles noch nicht getan, was aber im neuen Jahr plötzlich stattfinden soll. Abnehmen, mehr Sport, mehr lesen, mehr Zeit für die Familie nehmen, weniger fernsehen, die Liste ist lang. Und das sind auch ganz bestimmt alles Bereiche, in denen wir Luft nach oben haben und ein wenig Nachbesserung sinnvoll wäre. Nur hindert uns auch der Gedanke an eine glorreiche Zukunft daran, mit unserer Aufmerksamkeit in der einzig realen Zeit zu sein - im Jetzt. Schon heute gibt es Bücher und Sportgeräte, freut sich unsere Familie über Zuwendung und hat der Fernseher einen Ausschalter. Was wir jetzt wollen, sollten wir jetzt tun. Was wir irgendwann mal wollen, wird ohnehin von der Realität überholt.

Wir können aus der Vergangenheit für die Gegenwart lernen und Weichen für die Zukunft stellen. Nur das Leben findet immer nur jetzt statt. Jede Sekunde wieder haben wir die Chance, unsere Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wirklich ist, statt was war oder möglicherweise sein wird. Insofern bietet das neue Jahr über 21 Millionen Chancen, ganz bewusst im Jetzt zu sein. Ich habe bei dieser Rechnung die Schlafenszeit mal abgezogen, unserem Unterbewusstsein müssen wir diesbezüglich nicht unter die Arme greifen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch eine immer wieder gute Gegenwart!


Auszeit - 6. Dezember 2021

Seit vielen Jahren spiele ich mit dem Gedanken, mich mal für eine Woche in ein Kloster zurückzuziehen. Nun sollte es endlich soweit sein. Kontemplative Stille, beseelende Spaziergänge und spirituelle Anregungen hatte ich mir davon versprochen. Aber es kam mal wieder anders...

Zur Einstimmung bei der Autofahrt hatte mir eine Freundin das Hörbuch "Ich bin dann mal still" von Horst Lichter gegeben. Der aber konnte mit dem Klosteraufenthalt offenbar wenig anfangen - das ging ja schon mal gut los! Dass es wegen Corona keinerlei Programm im Kloster geben und ich die Nonnen bestenfalls aus der Ferne sehen würde, wusste ich schon aus dem Internet. Aber ich wollte das trotzdem durchziehen. Die Atmosphäre in den altehrwürdigen Mauern und in Gottes schönster Kirche, der Natur, würde schon das ihre tun, um mich emotional und spirituell vollzutanken. Also los! "O Heiland, reiß die Himmel auf!", hat er dann mal gleich wörtlich genommen und mir eine Woche heftigen Dauerregen angekündigt. Damit nahm der Reiz beseelender Spaziergänge schon mal deutlich ab. Und mit ihm die Möglichkeit, bei der Gelegenheit Fotos zu machen für meinen geplanten Gedichtband.

Dass ein Kloster, wie die ganze Kirche selbst, ein Wirtschaftsbetrieb ist, zeigt sich nicht nur an den im Klosterladen feilgebotenen Waren - ein 20cm-Holzengel für 298 €, eine 50cm-Weihnachtspyramide für 510 € oder auch 200 ml Kloster-Likör für 9,50 €. (Ein Schelm, wer dabei an Jesus denkt, der wegen sowas die Händler aus dem Tempel vertrieben hat.) Es hat schließlich gute Tradition in der katholischen Kirche, dass das Seelenheil auch Geld kostet. Deshalb wurde das klösterliche Gästehaus zu einem modernen Tagunszentrum umgebaut. Und die gastierende Reisegruppe wusste ja nun auch nichts von meiner Idee der kontemplativen Stille. Als des Nachts gegen 2 Uhr eine beschwipste Dame auf hohen Schuhen - klack klack klack - an meinem Zimmer - KLACK KLACK KLACK - vorbeigeht, versuche ich diesen lieblichen Klang innerlich in den Klang von zur inneren Einkehr rufenden Klangschalen zu transferieren. Schlaf wird ohnehin überbewertet. Es sollte schließlich eine Auszeit sein und kein schnöder Urlaub!

Um nun wirklich alle Möglichkeiten mitzunehmen, schälte ich mich trotzdem morgens um 6 Uhr aus dem Bett, um pünktlich um 7 Uhr zur Frühmesse zu gehen und die Nonnen ihre gregorianischen Choräle singen zu hören. Leider stellte sich heraus, dass nun gerade an diesem Tag die Frühmesse ausfiel. Kein Problem, denn ein frühmorgendlicher Spaziergang im strömenden Regen, bevor es zum spartanischen Frühstück geht, hat ja durchaus was (wobei ich mich inzwischen ein bisschen an das Konzept der Spiritualität durch Selbstgeißelung erinnert fühlte).

Wenn einem das Leben einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine wirft, verwandelt sich die Traurigkeit zunächst in Wut und irgendwann in herzliches Lachen über das Absurde der Situation. Ich lehnte mich also zurück und lächelte. Und was soll ich sagen? Plötzlich gab es doch noch einen regenfreien Tag. Das Klostercafé bot wunderbaren Kuchen an. Die gregorianischen Choräle klangen auch am Nachmittag mystisch. Das mitgebrachte Buch entpuppte sich als ausgesprochen anregend. Ein Gespräch mit einem schweizer Mönch erwies sich als sehr inspirierend. Die Reisegruppe lärmte woanders weiter. Und es entstanden einige wirklich schöne Fotos für meinen Gedichtband.

Was also lernen wir daraus? Wenn wir uns etwas wirklich wünschen und offen dafür sind, bekommen wir es auch - nur anders...

Nachtrag: Am Samstag wollte ich mich nochmal in das gemütliche Klostercafé setzen, was aber plötzlich dank aktueller Corona-Verordnung und geschlossener Testzentren in der direkten Umgebung unmöglich war. Ich nahm meinen Milchkaffee "to go" und habe herzlich gelacht. Und siehe da, am Sonntag ging es plötzlich doch wieder, weil ich ja bereits meine Booster-Impfung bekommen hatte. Ich lache einfach weiter, das scheint zu helfen...



Kurs im Wundern - 18. Oktober 2021

Das esoterische Bestseller-Buch "Kurs in Wundern" versucht in 365 Lektionen, psychologische Erkenntnisse zu vermitteln. Die "Wunder" im Sinne dieses Buches meinen dabei keine unerklärlichen Phänomene, sondern innere Veränderungen durch die Beschäftigung mit den einzelnen Lektionen.

Gewisse Parallelen drängen sich auf zu unserer realen Welt. Besonders in dieser "Corona-Krise" musste ich mich immer wieder wundern, obwohl die Phänomene sicher nicht unerklärlich sind. Und verändert hat mich dieser "Kurs im Wundern" eben auch.

Im April letzten Jahres habe ich mich öffentlich gewundert, dass unsere Bevölkerung überwiegend sogar kuriose Corona-Maßnahmen klaglos akzeptierte. Und nicht weniger verwunderlich waren die durchaus kreativen und vielfach widersprüchlichen Maßnahmen selbst. Immer wieder wurden vernunftbegabte Menschen in diesen Zeiten sprachlos angesichts der wahnwitzigen Details. Wundern wurde zur Tagesroutine, auch wenn die Entwicklung ganz und gar nicht wundervoll war und die "Wunder" mit Hilflosigkeit, Korruption, Föderalismus, Dummheit und Hoffnung durchaus erklärbar sind.

Ein Land, dessen Bewohner sich nur selten an religiöse Regeln halten, aber das im Auftrag der "Amtskirchen" deren Inkasso übernommen hat, hatte in Herrn Drosten einen neuen Messias gefunden, dessen tägliche Predigten nicht in Frage gestellt werden durften, ohne dafür angefeindet und diskreditiert zu werden. Obwohl ich noch nie eine allzu hohe Meinung von der Reflektionsfähigkeit der Menschen hatte, hat mich das mal wieder gewundert. Vor kurzem hat Herr Drosten die wissenschaftlich unwidersprochene Meinung vertreten, dass eine dritte Impfung für die meisten Menschen weniger zielführend ist, als wenn sich durchgeimpfte Menschen mit Covid infizieren, weil damit eine höhere Immunität einher geht. Da habe ich mich über diese klare, logische und nachvollziehbare Aussage gewundert, weil das nun wirklich nicht die Regel war in den vergangenen zwei Jahren. Aber, welch Wunder, für diese Aussage bekam Herr Drosten mächtig auf die Mütze, inzwischen gibt er sich wieder linientreuer. Das hat mich ehrlich gesagt nicht gewundert, schließlich müssen die Millionen von Impfdosen ja auch verkauft werden. Und wenn sich jetzt irgendwer fragt, was unsere Politiker davon haben, muss ich mich wieder wundern...

Der Kurs im Wundern geht weiter: Bis vor kurzem war Deutschland akut vom Aussterben bedroht, weil eine Impfquote von 70% auch im internationalen Vergleich einfach zu wenig war. Plötzlich wurden noch ein paar Millionen Geimpfte gefunden, jetzt sind es 85%. Trotzdem wird der Druck auf die Ungeimpften weiter erhöht, was man aber nicht "Impfpflicht durch die Hintertür" nennen darf. Das neue Zauberwort heißt 2G. In Hessen dürfen nun Supermärkte den Ungeimpften sogar ihre Lebensmittel vorenthalten (Das Verfassungsgericht soll ja schließlich auch nicht arbeitslos werden). Hier bei uns dürfen Veranstalter ihre Locations jetzt wieder komplett belegen, wenn Getestete ausgesperrt werden. Nachgewiesen Gesunde dürfen also nicht mehr neben Menschen sitzen, die gegen die Krankheit geimpft sind, die der Ausgeschlossene nachweislich nicht hat.

Mich hat der "Kurs im Wundern" wie gesagt verändert: Ich wundere mich über nichts mehr...



Die Qual der Wahl - 9. September 2021

"Wer die Wahl hat, hat die Qual" ist ein bekanntes Sprichwort und meint die Entscheidungs­schwierigkeiten angesichts interessanter Alternativen. Nun ist zwar die anstehende Bundestagswahl eine Qual, aber eben nicht wegen der Fülle guter Möglichkeiten, sondern einerseits wegen der Notwendigkeit, aus einer großen Menge Nichts überhaupt etwas auszuwählen, und andererseits wegen der demonstrativen Verlogenheit von Politik, Medien und kommentierendem Pöbel. Immerhin 40 Parteien stehen zur Wahl, wovon viele eher einen kabarettistischen Wert haben. "Die Partei" sticht insofern positiv hervor, weil sie ganz offen eine satirische Partei ist. Die anderen meinen das ernst! Bleiben also die üblichen Verdächtigen (bzw. Überführten) als Gefahrenquelle, uns zukünftig zu regieren.

Die Grünen hatten angesichts des immer schwerer zu leugnenden Klimawandels eine ziemlich gute Ausgangslage. Sie hatten sogar einen charismatischen und kompetenten Kandidaten zur Auswahl, haben sich aber für Frau Baerbock entschieden, weil sie eine Frau ist. Diese intellektuelle Verwirrung begleitet die Grünen seit ihrer Gründung: Frauen sind besser als Männer, Ausländer besser als Deutsche, Schwule besser als Heteros, Schwarze besser als Weiße usw. Und während diese Partei ihre Wahlchancen früher durch inhaltlich oft nachvollziehbare, aber taktisch unkluge Forderungen kurz vor Wahlen deutlich reduziert hat, erfüllt diese Aufgabe diesmal ganz allein Frau Baerbock, und zwar bravourös. Und davor hätte es auch gar nicht diese rufschädigenden Kampagnen gebraucht, deren Unanständigkeit nur noch anwidert. Wer Frau Baerbock erlebt, nimmt als sensibler Mensch wahr, dass Mimik und Stimmklang oft nicht zu ihren Worten passen. Und wer nicht authentisch erlebt wird, erzeugt nur Misstrauen. Da ich als Gesangslehrer berufsbedingt exzessiv in Stimmklänge eintauche, mag man mir nachsehen, dass ich Frau Baerbocks Stimme möglichst nicht bei Kanzlerinnen-Reden ertragen möchte. Ich hatte nun lange genug mit Frau Merkels Stimme zu kämpfen, aber schlimmer geht ja bekanntlich immer.

Die CDU/CSU konnte sich ebenfalls nicht auf den erfolgversprechenden Kandidaten einigen, weshalb neben dem zynischen "christlich" im Namen wohl auch das Einigkeit suggerierende "Union" obsolet ist (Über "demokratisch" und "sozial" möchte ich mich jetzt nicht auslassen). Weil die größere Schwester auf gar keinen Fall einen CSU-Kandidaten ins Rennen schicken wollte, obwohl dessen rhetorische Fähigkeiten und Beliebtheit ziemlich vielversprechend waren, präsentiert sie uns mit Herrn Laschet einen Dauerlächler, dem sogar CDU-Mitglieder seine Inhaltsleere übelnehmen. Die Kreisverbände vor Ort hängen sicherheitshalber die Plakate mit Laschets Konterfei gar nicht erst auf. Die entsprechenden Verunglimpfungen durch den politischen Gegner hätte es auch hier gar nicht gebraucht. Aber immerhin überlässt die CDU/CSU die Demontage der Wahlchancen nicht nur Herrn Laschet, anders als bei den Grünen hilft hier die Partei fleißig mit. Die schon traditionellen Korruptionsaffären sowie einige geradezu atemberaubend unfähigen Minister tun ihr Übriges.

Die SPD hatte anders als die Grünen und die Union keinen vielversprechenden Kandidaten und stellte deshalb Herrn Scholz auf, der in der Corona-Krise vor allem durch das Verteilen von Milliarden wie Bonbons vom Karnevalswagen ("Kamelle!") aufgefallen war und ansonsten so aufregend ist wie eine CD mit Meditationsmusik. Im Grunde gibt es nicht den geringsten Grund, sich für Herrn Scholz zu entscheiden. Aber da sich viele vernunftbegabte Menschen vor allem gegen Baerbock und Laschet entscheiden, wird der Blinde plötzlich zum Einäugigen und die SPD zur führenden Partei in den Umfragen. Und weil die Genossen, die sonst immer mal wieder für einen Aufreger gut waren, vorübergehend ein bisschen leiser treten, fällt gerade nicht auf, dass mit Scholz auch Kühnert, Lauterbach, Walter-Borjans, Eskens etc. gewählt werden. Im Stillhalten hat die SPD von Merkel gelernt - Respekt!

Die FDP hat schon historisch die Rolle des Züngleins an der Waage (wobei die Zunge manchmal nicht lang genug war für die 5-Prozent-Hürde) und profitiert diesmal von der Schwäche der Konkurrenz. Entsprechend wird sie zur Beschaffung potenzieller Mehrheiten eifrig umworben. Und nachdem die Partei, so lassen es die Plakate vermuten, inzwischen wohl auch gemerkt hat, dass das gewaltige Ego und die es noch übersteigende Eitelkeit von Herrn Lindner nicht zusätzlich herausgestellt werden sollten, steht zu erwarten, dass die FDP wieder einmal die Möglichkeit haben wird, Regierungsverantwortung abzulehnen.

Die Linken existieren inzwischen lange genug, dass das Verbot, mit ihnen zu sprechen, so ganz langsam aufweicht. Theoretisch ist also eine Koalition mit der SPD und den Grünen denkbar, was auch inhaltlich durchaus passen würde. Aber die jahrelange Dämonisierung wirkt noch nach, weshalb diese Option eine ungeliebte ist. Dafür hätte es die rührend dümmliche Rote-Socken-Kampagne der Union gar nicht gebraucht.

Die AFD ist für eine künftige Regierung definitiv keine Alternative, weil hier die Ächtung noch zu frisch ist. Was auch immer AFD-Politiker sagen, muss abgelehnt werden, unabhängig vom Inhalt und der Vernunft. Wer sich also für diese Partei entscheidet, stärkt allenfalls die Opposition. Aber wenn die AFD sich lange genug hält, wird sie vielleicht irgendwann wie die Linken doch noch eine ungeliebte Option.

Was auch immer bei der Wahl und den anschließenden Koalitionsverhandlungen rauskommen wird, ist auf jeden Fall die viele heiße Luft nicht wert. Der Berg wird kreißen und eine Maus gebären. Wie immer werden die dummen ebenso wie die klugen Ideen der Realität und der notwendigen Einigung zum Opfer fallen. Im Grunde wird alles bleiben wie immer: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer, die Kultur unbedeutender, die Menschen älter, aber nicht klüger. Und die Natur wehrt sich und wird uns auch nach der Wahl so manche Qual bescheren...



Wie hältst Du's mit dem Glauben? - 28. Juli 2021

Die eigentliche Gretchen-Frage lautet ja: "Nun sag, wie hast Du's mit der Religion?" Aber nachdem in unserer Gesellschaft die Mehrheit der Menschen seit vielen Jahren ja eher das Geld als einen Gott anbetet, ist diese Frage schnell beantwortet. Trotzdem war der Glauben selten so wichtig wie zur Zeit. Während die eine Hälfte glaubt, Politiker und Journalisten meinen es nur gut mit uns, glaubt die andere Hälfte, dass wir nur schikaniert werden, um eine gigantische Verschwörung durchzusetzen. Eine Hälfte glaubt, alle Skeptiker wie in einer Hexenjagd beschimpfen und diskreditieren zu müssen, und die andere Hälfte glaubt, die viel zu gutgläubigen Menschen aufrütteln zu müssen.

Helge Schneider hat sich nun nicht zum ersten Mal klar positioniert, dass unter diesen Umständen für ihn Konzerte keinen Spaß machen. Das kann ich sehr gut verstehen, auch mir selbst geht es so. Und während Helge Schneider oder auch ich es den vielen Musikerkollegen nicht nehmen wollen, die trotz dieser Umstände auftreten, setzt bei vielen Menschen der Reflex ein, Helge Schneider dafür zu beschimpfen (mich trifft der Zorn der Masse weniger, dazu bin ich zu unbedeutend). Übrigens konnte ich den Humor von Helge Schneider immer viel weniger verstehen als seine jetzige Haltung.

Im gleichen Atemzug wie Helge Schneider wird gerade Nena genannt, die bei einem ihrer Konzerte die Besucher dazu aufgefordert hat, die Corona-Regeln zu brechen. In ihrem Glauben sind diese Regeln Schikane, und wie das bei fundamental Gläubigen so ist, müssen Andersgläubige bekämpft werden, weil es ja nur eine einzige wirklich wahre Wahrheit geben kann. Schließlich singt Nena schon in "Leuchtturm", dass sie die Welt von oben sehen kann. Natürlich macht ein Bad in der tosenden Menge mehr Spaß als auf eine große Fläche mit ein paar Besuchern zu schauen. Da kann mann/frau schon mal genervt sein. Und der gebetsmühlenartig wiederholte Satz, dass Künstler doch dankbar sein müssen, dass sie jetzt immerhin wieder ein bisschen auftreten können, erinnert ein bisschen an das halbe Stück Brot, das dem Hungernden als Tagesration reichen soll. Immerhin haben sich also die Begriffe "Dankbarkeit" und "Demut" aus der Religion in unsere schöne neue Welt gerettet...

Das Gespräch zwischen Gretchen und Faust geht so weiter, dass er ihr zunächst seine Toleranz versichert ("Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.") und ihr das aber nicht reicht ("Das ist nicht recht, man muss dran glauben!"). Fausts Antwort: "Muss man?". Recht hat er, ich muss weder an die Regierung noch an eine Verschwörung glauben. Es ist Sommer, Zeit für Urlaub - von den Gläubigen.



Würden - 21. Mai 2021

Millionen Menschen würden sich gerne gegen Corona impfen lassen, schauen dabei aber in die Röhre, weil die hochgelobte und von Deutschland über Jahrzehnte auch hochbezahlte EU nicht genug Impfstoff beschaffen konnte. Für England kam der Brexit gerade noch rechtzeitig, dort läuft es anders. Und von dem Kraftakt, den der neue amerikanische Präsident innerhalb weniger Wochen geleistet hat, will ich gar nicht reden.

Während nun also ohnehin schon unzählige Deutsche in der Impfschlange stehen, macht unsere Regierung gleichzeitig Stimmung gegen jene, die sich aus welchen Gründen auch immer lieber nicht impfen lassen wollen. Zwar wurde zahleiche Male versichert, dass es keine Impfpflicht geben würde, aber nun wird eben allen Ungeimpften der Zutritt zum öffentlichen Leben verwehrt oder wenigstens per Testpflicht erschwert. Erste Politiker denken laut darüber nach, diese Zugangsbeschränkungen auch auf Lebensmittelgeschäfte ausweiten zu wollen.

Was aber hätte unsere Regierung davon, wenn sich zu den Millionen Impfwilligen, die eben noch nicht geimpft werden, weitere Millionen gezwungene Impfskeptiker mit in die Schlange stellen würden? Die Antwort gibt z.B. die Historikerin Ute Frevert: "Eine Demütigung dient meistens der Stabilisierung der eigenen Macht." Es wäre problemlos möglich, sich auf einer Webseite als impfwillig einzutragen und eine Nachricht zu erhalten, wenn es einen Termin gibt. Stattdessen müssen Menschen wochenlang Tag und Nacht tausendfach versuchen, einen Impftermin zu bekommen. Und wenn diejenigen, die sich ohne den gewaltigen Druck nicht impfen lassen würden, so lange um etwas gebettelt haben, was sie eigentlich gar nicht wollen, haben sie wahrscheinlich die Botschaft verstanden - ok, Ihr habt gewonnen!

Das Würden der Menschen ist nicht unantastbar.



Was man so alles nicht sagen darf - 25. April 2021

In meiner Kindheit wurde mein moralisch ungetrübtes Mundwerk immer wieder mit dem Satz "Das sagt man nicht!" konfrontiert. Ähnlich wie bei so vielen Aussagen heute war es aber nicht explizit verboten, ich musste nur auf das entsprechende Echo gefasst sein. Und auch wenn ich keine Folter zu befürchten hatte, konnte dieses Echo durchaus schmerzhaft sein. Was damals unter "Erziehung" fiel, übernimmt bei den heutigen Erwachsenen eine selbsternannte Moral-Elite. Wer etwas Unerwünschtes von sich gibt, erlebt einen "Shitstorm", die moderne Form des Prangers. Die Angst davor bringt viele Menschen dazu, sicherheitshalber zu schweigen. Der Satz "Das darf man heute ja nicht mehr sagen" ist natürlich idiotisch, denn erstens ist es ja (siehe oben) nicht explizit verboten, und zweitens outet sich derjenige Mensch damit, dass er eigentlich schon etwas Unerwünschtes zu sagen hätte, es aber aus Angst vor dem Echo lieber verschweigen will. Und wegen dieses Outings kommt das Echo eben trotzdem. Am allerwenigsten dürfen wir also sagen, dass wir etwas nicht sagen dürfen.

In meiner Kindheit war die Bestimmung unerwünschter Aussagen vergleichsweise transparent. Was nicht der gesellschaftlichen Moral-Norm entsprach, das sagte man eben nicht. (Damals sagte man noch "man", ohne Angst davor, dass es für "Mann" und damit diskriminierend gehalten wurde.) Heute ist es viel komplexer, denn die Ächtung von Aussagen richtet sich nicht mehr nach dem Inhalt, sondern nach den unerwünschten Gruppierungen, die das gesagt haben. Wenn also zum Beispiel Mitglieder der AfD den Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisiert haben, dürfen das z.B. Schauspieler nicht mehr sagen. Sonst bekämen sie ja womöglich Applaus von der "falschen Seite", und das geht ja nun gar nicht. Wenn die AfD clever wäre (nur mal so rein hypothetisch), könnte sie relativ leicht steuern, was gerade zu denken und zu sagen unerwünscht ist. Ein flammender Appell von Herrn Höcke für E-Autos würde wahrscheinlich zu üblen Umsatzeinbrüchen und einer ernsten Identitätskrise der Grünen führen.

Apropos Identitätskrise: Vor ein paar Jahren, als es noch Chöre gab (Ein paar erinnern sich vielleicht noch), wollte ich ein Chorkonzert unter anderem damit bewerben, dass ausschließlich deutsche Lieder gesungen würden. (Die Mitglieder dieses traditionellen Chors und sicher auch der größte Teil des potenziellen Publikums stammen aus einer Zeit, als die englische Sprache noch keine Selbstverständlichkeit war.) Damals hatte der Vereinsvorstand deswegen ernste Bedenken, weil die Nennung von "deutsch" auf dem Plakat womöglich die falschen Leute ansprechen würde. Die Verwaltung der Düsseldorfer Tonhalle (einem klassischen Konzertsaal) sieht das offensichtlich genauso, denn sie hat ein Konzert von Heino abgesagt, das mit den Worten "Deutscher Liederabend" beworben werden sollte. Zu den verdorbenen Worten wie Stolz, Ehre, Heimat, Vaterland etc. hat sich nun also auch "deutsch" hinzugesellt. Zu meiner nationalen Identität befragt (oder ist das auch ein entarteter - huch, ich meine natürlich unerwünschter Begriff), kann ich im Moment dank der Europa-kritischen AfD-Abgeordneten immerhin noch sagen, dass ich Europäer bin. Das sicher beliebtere "überzeugter Europäer" kommt mir zur Zeit ein bisschen schwer über die Lippen.

In meiner Kindheit wurden Menschen, deren Meinung von aktuellen Stimmungen abhing, "Fähnlein im Wind" genannt. Heute nennen wir diese Menschen "lernfähig". Das gilt für Merkels Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomausstieg genauso wie für jene Schauspieler, die nach ihren Coronamaßnahmen-kritischen Aussagen flugs Buße getan haben, als der Gegenwind kam. Schließlich wollen wir ja nur von den guten Menschen Applaus bekommen. Dass der satirische Wert dieser Schauspieler-Statements sehr unterschiedlich ausgefallen war, wog da weit weniger schwer als der Pranger, äh die Ecke, in die jene fehlgeleiteten Bühnenkünstler zu stellen waren.

Scheinbar haben irgendwelche unerwünschten Gruppierungen mal behauptet, dass es auf Inhalte ankomme, deswegen fühlen wir mehr als wir denken. Dass das schließlich auch weiblicher ist, sage ich natürlich nicht, denn das darf man ja nicht sagen...



Neue Worte braucht das Land - 6. April 2021

Dass es für eine Sache mehrere Worte gibt, ist zumindest den Sprachbegabteren unter uns bekannt. Feinsinnige Menschen nutzen die winzigen und manchmal nur empfundenen Bedeutungsunterschiede z.B. für Poesie. Die große Mehrheit benutzt der Einfachheit halber jeweils nur einen Begriff, an den sie sich eben gewöhnt hat. Man spricht deshalb gerne von dem Unterschied zwischen aktivem (also tatsächlich verwendetem) und passivem (also theoretisch vorhandenem, aber nicht mehr benutztem) Wortschatz. Deshalb ist zum Beispiel der "Mohrenkopf" bis heute kaum auszurotten, obwohl es mit dem "Schokokuss" ein sinnvolles und sogar deutschsprachiges Synonym gibt.

Seit vielen Jahren ist es sogar üblich, neue gleichbedeutende Worte zu erfinden. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Das Wort "Neger" z.B. hat aus Diskriminierungsgründen verschiedene Alternativen hervorgebracht, die bestenfalls den Begriff, nicht aber die Diskriminierung wirksam bekämpft haben. Die meisten Neuschöpfungen sind Anleihen aus dem Englischen, weil das gefälliger klingen soll. Schon in den 60ern waren Dinge nicht mehr "toll", sondern "cool". Bisweilen erfinden Deutsche sogar englische Begriffe, die sogar den Engländern fremd sind. "Handy" ist eben einfach cooler als das im Englischen gebräuchliche "Mobile". Ein weiterer Grund, warum neue Bezeichnungen erfunden werden, ist die gewollte Beschönigung (oder auch Verschleierung). Und wenn wir schon mal dabei sind, machen wir das gleich in englisch, denn so lässt es sich viel cooler beschönigen. So wurde aus dem guten alten Hausmeister der "Facility Manager" und überhaupt aus so ziemlich allen Mitarbeitern einer Firma irgendeine Art Manager. Das geht so weit, dass die Bezeichnungen auf Visitenkarten ein heiteres Beruferaten zur Folge haben. Robert Lembke (Robby Lambkey...) hätte seine Freude daran gehabt, möglicherweise hat er sich amused to death.

Unsere heutige Zeit ist ein Fest der Wortschöpfer. Einerseits braucht es für neue Viren und neue Krankheiten natürlich auch neue Namen, andererseits erschöpft sich die gewünschte Signalwirkung eines Wortes doch mit seinem exzessiven Gebrauch. Während im 19. Jahrhundert ein "Dummkopf" noch zu einem Duell führen konnte, ist es heute eine eher gemäßigte Bezeichnung. Anfang 2020 wurden Menschen, die Fragen zu den Maßnahmen der Regierung stellten, unter dem Begriff "Verschwörungstheoretiker" zusammengefasst - nicht englisch, denn es ist ja auch ganz und gar nicht cool. Unbedeutend war dabei, ob die so Bezeichneten überhaupt irgendeiner Verschwörungstheorie Glauben schenkten. Als dieser Begriff durch seinen exzessiven Gebrauch seine Signalwirkung verloren hatte, wurden die gleichen Menschen unabhängig von ihrer Intelligenz plötzlich "Covidioten". Später wurden sie "Aluhutträger" (natürlich trägt davon niemand einen), im Moment heißen sie "Coronaleugner", obwohl kaum eine(r) die Existenz des Virus tatsächlich leugnet. Der Wahrheitsgehalt der erfundenen Worte tritt also in diesem Fall gegenüber der gewollten Wirkung zurück.

Kaum jemand hätte vor März 2020 mit dem Begriff "Shutdown" etwas anzufangen gewusst. Aber weil das positiv, also irgendwie cool klingen sollte, musste es ein englischer Begriff sein. Durch die Abnutzung wurde ein "Lockdown" daraus, später dann ein "Lockdown light". Der zwischendurch erwogene "Totale Lockdown" war wohl nie ernsthaft geplant, deshalb sollte er mit dem deutschen Beiwort nur so halb cool wirken. Und da momentan nicht vom "Bridge-Lockdown" die Rede ist, sondern vom "Brücken-Lockdown", sollen wir den wohl auch nicht cool finden.

Die Madness hat Methode...



Als PC noch ein Computer war - 4. März 2021

Dieser Tage war zu lesen, dass die Übersetzung eines Gedichts daran scheiterte, dass die Übersetzerin die falsche Hautfarbe hatte. Das klingt wie Rassismus, ist es natürlich irgendwie auch, aber der Shitstorm entzündete sich ganz im Gegenteil daran, dass doch eine weiße Übersetzerin auf keinen Fall das Gedicht einer schwarzen Frau adäquat übersetzen könne. Die Dichterin selbst, Amanda Gorman, die im Stil eines Poetry-Slams im Rahmen von Bidens Amtseinführung erstmals in der breiten Öffentlichkeit stand, hatte der Übersetzung durch Marieke Rijneveld ausdrücklich zugestimmt. Doch dann kamen, wie so oft, die politisch Korrekten, die immer und überall eine Benachteiligung von Schwarzen, Frauen, Homosexuellen, Ausländern, Juden, Diversen etc. wittern. Und ob eine schwarze Frau benachteiligt wird, hat schließlich nicht sie selbst zu entscheiden, sondern der große Chor der "Gutmenschen"...

Die überwältigende Mehrheit der Frauen fühlte sich auch ohne das penetrant angefügte "innen" nicht durch die Sprache benachteiligt, sondern vor allem durch ungleiche Bezahlung. Und die Bezahlung der Frauen wird sich wohl durch die Sprache so wenig verändern wie die der Pflegekräfte durch den Applaus. Die wünschenswerte Gleichberechtigung aller ist erst dann gegeben, wenn es keine Rolle spielt, ob jemand Frau oder Mann, Moslem oder Christ, homo- oder heterosexuell ist. Wenn Menschen in ihrem ach so guten Willen permanent spezielle Sensibilität einfordern für eine tatsächlich oder vermeintlich schwächere Gruppe, ist dies nichts anderes als eine perfide Form der Diskriminierung. Das gilt für den männlichen Beschützer genauso wie für die PC(political correctness)-Jünger. Wer z.B. Sanitäter bei der Arbeit behindert ist ein Arschloch, und zwar selbst dann, wenn es sich um eine syrische, schwarze, lesbische Frau jüdischen Glaubens handelt. Und erst wenn wir das auch ganz beherzt so nennen können, ohne einen Shitstorm befürchten zu müssen, ist Gleichberechtigung gegeben.

Dass die PC Blüten treibt, ist nicht neu. Immer wieder kommen gelangweilte Gehirne auf merkwürdige Ideen. Ob nun "Vaterland" und "brüderlich" in der Nationalhymne ausgetauscht werden sollen, in der IT-Branche die "Blacklist" umbenannt werden soll oder Pippi Langstrumpf nicht mehr aus dem Takatukaland kommen darf, es macht ja im Grunde nichts, solange die vernünftigen Menschen entsprechend reagieren und diesen Unsinn unterbinden. Aber diese "Gutmenschen" sind laut und werden immer mehr, so dass inzwischen schon ein bisschen Zivilcourage dazugehört, eine andere Meinung zu vertreten. Und besonders irrsinnig wird das Ganze, wenn es dazu führt, dass nicht mehr der oder die Kompetenteste eine Arbeit macht, sondern der oder die (oder das?) Benachteiligste. Über die Frage eines Unternehmens, wer die Geschäftsführung übernimmt, sollte die fachliche Eignung entscheiden, nicht die Hautfarbe, das Geschlecht, der Glaube oder die sexuelle Orientierung. Das kann die lesbische schwarze Frau genauso sein wie der alte weiße Mann. Wenn inzwischen das Gedicht einer jungen schwarzen Frau nicht von einer jungen weißen Frau übersetzt werden darf, schießt die Gleichberechtigung weit über ihr Ziel hinaus. Um einem solchen Shitstorm zu entgehen, hat der deutsche Verlag mit der Übersetzung des Gedichts von Frau Gorman gleich drei Frauen beauftragt: Eine schwarze, eine deutsch-türkische und eine deutsche. Da drängt sich doch die Frage auf, ob auch die sexuelle Orientierung und der Glaube genügend berücksichtigt wurden...

Es ist ja nicht zu erwarten, dass dieser Blog irgendwann in eine andere Sprache übersetzt wird. Dazu folge ich viel zu wenig dem Zeitgeist, bin viel zu alt, viel zu weiß, viel zu männlich und viel zu hetero. Aber falls jemand mit diesem Wunsch an mich herantreten würde, käme natürlich nur ein Klavier und Gitarre spielender Mensch mit 1,90 m Größe und lockigen Haaren in Frage. Die anderen Attribute wären mir so egal wie sonst auch...



Realitätsfluch(t) - 14. Februar 2021

Wenn einem die Welt so richtig blöd kommt, liegt es ja nahe, sich in eine alternative Welt zu flüchten. Wie schon damals Pippi Langstrumpf, mache ich mir dann die Welt, wide wide wie sie mir gefällt. Bei Donald Trump war in diesem Zusammenhang von "alternativen Fakten" die Rede. Wie in der Popmusik, wo ein Refrain nur oft genug wiederholt werden muss, damit das Lied als gut empfunden wird, müssen auch Behauptungen nur oft genug wiederholt werden, damit sie als wahr gelten. Diesen Ausweg aus unserer unschönen Gegenwart scheinen zur Zeit immer mehr Menschen zu nehmen, unabhängig davon, welcher gebetsmühlenartig wiederholten subjektiven Wahrheit sie nun huldigen. Ob das nun pathologisch ist, also eine Krankheit darstellt, oder nur eine sehr gesunde Strategie, um nicht wahnsinnig zu werden, ist eine Frage der Perspektive.

Die Realitätsflucht, auch Eskapismus genannt, ist allerdings schon länger in Mode als die Angst vor Corona oder die Ablehnung der Corona-Maßnahmen. Schon in den Jahren davor sind viele Menschen regelmäßig aus einer vergleichsweise freien Welt in die alternative Welt von sogenannten Escape Rooms geflüchtet, wo sie mehr oder minder kunstvoll eingesperrt wurden, um sich mehr oder minder langwierig selbst zu befreien. Was nach einem Corona-Trainingslager klingt, ist vielleicht nur der Umgang mit einem psychologischen Phänomen, nämlich dem Stockholm-Syndrom. Hier bauen Opfer ein positives Verhältnis zu den Menschen auf, die sie eingesperrt haben, und sind schließlich dankbar, wenn sie wieder freigelassen werden. Diese Liebe zum Täter könnte nicht nur die breite Akzeptanz so mancher merkwürdigen Maßnahme, sondern auch den Erfolg von so manchen Popsongs erklären...

Nun ist allerdings die Flucht in eine eigene Wahrheit (bzw. die einer Gruppe, der man gerne zugehören möchte) in Zeiten der Kontaktbeschränkung keine vollends befriedigende Lösung, denn auch mit alternativen Fakten kann man vereinsamen. Zwar gibt es mit Yoga, Meditationen, Achtsamkeit etc. diverse Strategien, wie man alleine mit sich selbst besser zurecht kommt, aber während ich mich da so selbst bespiegelt habe, fiel mir auf, dass mein Spiegelbild ja in vielerlei Hinsicht ein liebenswertes Gegenüber ist. Keiner von uns beiden muss den Anderen als Covidiot oder Schlafschaf beschimpfen, und wir schätzen auch sehr die jeweiligen Argumente des anderen. Dass wir dabei nichts wirklich Neues lernen, stört uns nicht, denn es ist heute ja ohnehin normal, sich nur mit Menschen zu umgeben, die der gleichen Meinung sind. Ob das nun den Beraterstab von Frau Merkel oder den Ethikrat von Herrn Söder betrifft oder einfach den ehemaligen Stammtisch um die Ecke, Andersdenkende werden sicherheitshalber ausgegrenzt. Mein Spiegelbild und ich würden das genauso machen.

Diese Verliebtheit in das eigene Spiegelbild erinnert zwar irgendwie an Schneewittchens Stiefmutter, aber das sogenannte Schneewittchen-Syndrom beschreibt nur den darin enthaltenen Neid, also wenn ich z.B. nicht einsehen will, warum Haare geschnitten, aber nicht musiziert werden darf. Die Teilung in mein Spiegelbild und mich ist eher eine multiple (die Runde ist ja erweiterbar) Persönlichkeitsstörung. So schreibe ich also ab und zu ein Lied, springe dann auf die andere Seite, hör mir das Lied an und finde es toll. Dann gehe ich wieder zurück und freu mich über die Anerkennung. Applaus ist das Brot des Künstlers, und wer will schon verhungern.

Nach einer aktuellen Studie zeigt inzwischen jedes dritte Kind Verhaltensauffälligkeiten. Ich vermute fast, dass wir Erwachsenen da ganz gut mithalten können.

Jürgen und ich wünschen Euch eine gute Zeit und geeignete Überlebensstrategien!



Motivationsspritzen - 15. Januar 2021

Wer als Kind mitgenommen wurde auf lange Wanderungen, kennt das: "Nur noch ein paar Minuten, dann sind wir da." Es funktioniert meist recht gut, auf diese Weise das Gequengel eine Weile zu verschieben. Dann macht man noch ein Spiel, erzählt eine spannende Geschichte, singt ein paar Lieder, dann sind es wieder nur noch ein paar Minuten usw...

Aber früher oder später, abhängig vom Geschick der Erwachsenen und der Blödheit des Kindes, wird die Taktik als bloßes Hinhalten und Ruhigstellen entlarvt. Das im Moment unerfüllbare Bedürfnis des Kindes, bereits angekommen zu sein, trifft auf die Haltung der Erwachsenen, bitteschön nicht mit solchen Bedürfnissen konfrontiert zu werden. Wenn diese Taktik von dem Kind durchschaut wurde, ist es mit dem Vertrauen natürlich nicht mehr weit her. Vielleicht wäre dann doch die Kombination aus Ernstnehmen, ehrlicher Antwort und motivierenden Erklärungen im Nachhinein sogar weniger mühsam gewesen.

Nun ist das deutsche Volk nur begrenzt kindisch und die Volksvertreter nur begrenzt erwachsen, aber gewisse Parallelen drängen sich auf: Im März 2020 mussten wir "nur noch ein paar Wochen Geduld haben und Masken tragen", dann wäre alles wieder gut. Spätestens als der erste Lockdown verhängt wurde, um die Infektionskurve derart abzuflachen, dass schließlich das Pflegepersonal in Kurzarbeit geschickt werden musste, war mir und vielen Anderen klar, dass wir alle an diesem Spiel wohl länger unsere Freude haben würden. Aber der politische Rosenkranz gab die Wiederholung des Mantras "nur noch ein bisschen Geduld" vor. Als dann im Herbst nach einem entspannteren Sommer völlig überraschend die ständig angekündigte "zweite Welle" kam, gab es merkwürdigerweise immer noch keinerlei Plan, wie damit umzugehen sei. Schließlich kam das bewährte Vertrösten zum Einsatz, jetzt müsse der verantwortungsvolle Bürger bis Weihnachten Geduld haben.

Jeder, aber auch wirklich jeder vernunftbegabte Mensch wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass (vor allem angesichts der merkwürdigen Maßnahmen-Auswahl) im Dezember 2020 zwar das Jahr, aber nicht die Maßnahmen zu Ende gehen würden. Völlig überraschend kam dann nach dem "Lockdown light" der "echte Lockdown" bis Ende Januar, der wohl nächste Woche um einen noch echteren Lockdown verlängert wird. Nicht jedes Kind ist gleich (s.o.), manche glauben immer noch, dass wir uns jetzt nur noch eine Weile in Geduld üben müssen. Aber immer mehr Menschen verlieren das Vertrauen in jene Erziehungsberechtigten, äh Politiker, die uns aus Bequemlichkeit fortgesetzt belügen.

Ich gehe jetzt mal wohlmeinend davon aus, dass niemand weiß, wie lange dieser Virus und seine mutierten Brüder noch ihr Unwesen treiben werden. Aber ich gehe auch davon aus, dass nicht nur mir klar ist, dass...

1. in diesem Jahr nicht mehr mit einer Rückkehr zur alten Normalität zu rechnen ist.
2. die Impfung weit länger als bis zum Sommer dauern wird.
3. tausende von Unternehmen in Konkurs gehen werden.
4. der Finanzminister mit Geld um sich wirft, das er nicht hat.
5. noch zahlreiche Generationen nach uns mit der Rückzahlung beschäftigt sein werden.
6. Steuererhöhungen und Subventionsabbau kommen werden.

Dass so eine Wanderung anstrengend werden kann, ist unvermeidlich. Und wenn man dann erstmal mitten im Nirgendwo steht, muss man eben irgendwie weiter. Das ist verständlich. Dass die "Erwachsenen" allerdings mit ihrem Vertröstungs-Mantra die Motivation und das Vertrauen von uns "Kindern" verlieren, ist allerdings genauso verständlich. Aber bevor ich mich jetzt noch weiter reinsteigere, komme ich zum Ende. Geduld! Nur noch wenige Worte. Vielleicht sollten wir noch ein paar Lieder singen. Aber das dürfen wir ja nicht...

WAS FÜR EIN IRRSINN!



Wahrheit oder Pflicht - 30. Dezember 2020

Wie bei jenem pubertären Spiel müssen sich die Menschen zur Zeit immer wieder entscheiden, ob sie sich auf die Suche nach der möglicherweise unangenehmen Wahrheit machen oder statt dessen lieber ohne weiter nachzudenken die auferlegte Pflicht erfüllen wollen.

Nach Helmpflicht, Gurtpflicht, Haftpflicht, Schulpflicht, Rauchmelderpflicht und zuletzt Maskenpflicht ist zur Zeit viel von der Impfpflicht die Rede. Die Anhänger einer freiwilligen Selbstverantwortung behaupten gebetsmühlenartig, dass eine Impfpflicht bevorstehe. Die Politiker behaupten ebenso häufig, dass keine Impfpflicht geplant sei. Und die um ihre Gesundheit besorgten Menschen könnten einer Impfpflicht durchaus etwas abgewinnen. Inzwischen haben aber innerhalb der Politik selbst die größten Regelungs-Freunde verstanden, dass eine Impfpflicht in diesem Ausmaß kaum in vertretbarem Zeitrahmen umzusetzen wäre. Und schon diskutieren wir über eine "indirekte Impfpflicht", also dass Fluggesellschaften, Restaurants oder Theater künftig einen Impfausweis fordern könnten. Sicher könnten sich auch Einige mit einer Kennzeichnungspflicht von Nicht-Geimpften anfreunden. (Wenn das nicht so unschöne Erinnerungen wecken würde...) Aber was auch immer davon irgendwann umgesetzt werden wird, nun müsste überhaupt mal jede(r) Impfwillige die Möglichkeit dazu haben. Und damit wird das neue Jahr wohl noch verstreichen.

Was mich etwas irritiert, ist die Angst der Impfwilligen vor den Impfgegnern. Da Geimpfte idealerweise immun gegen Corona sein sollten, gefährden sich die Impfgegner doch nur selbst. Aber es regen sich ja auch Menschen, die sich niemals auf ein Motorrad setzen würden, darüber auf, wenn ein Motorradfahrer keinen Helm trägt. Dabei würde die Abschaffung der Helmpflicht eine Auslese der Dummen bedeuten, daran hätte Darwin seine Freude gehabt. Es liegt seit vielen Jahren im Trend, den Menschen ihre Selbstverantwortung zu nehmen. Deshalb werden wir z.B. dazu gezwungen, eine Krankenversicherung abzuschließen (Es sei denn, wir haben genug Geld, dann traut man uns die Eigenverantwortung zu.) oder Rauchmelder in unseren Privatwohnungen zu installieren. In Amerika kann man Bücher bestellen, sie lesen und bei Nichtgefallen zurücksenden. In Deutschland würde das hemmungslos ausgenutzt werden, glauben viele. Deshalb werden wir mit einer wachsenden Zahl von Verboten und Pflichten konfrontiert. Die Frage ist allerdings, ob angesichts der staatlichen Bevormundung mehr Selbstverantwortung entstehen kann - Henne oder Ei?

Als Künstler darf und muss ich mir ja die Fähigkeit zu träumen erhalten, deshalb wünsche ich mir fürs neue Jahr ein bisschen weniger Pflicht und ein bisschen mehr Kür. (Die sehe ich auch beim Eiskunstlauf viel lieber.) Vielleicht können wir so den unangenehmen Wahrheiten und Aufgaben unter dem Strich erfolgreicher begegnen - Wahrheit UND Pflicht!



5000 neue Veranstaltungsräume - 14. Dezember 2020

Wer zur Zeit auf der Suche nach einem Job ist, trifft auf sehr zögerliche Arbeitgeber, die angesichts einer ungewissen Zukunft ungern neue unbefristete Stellen schaffen. Die zu erwartende Insolvenzwelle nach Wegfall der staatlich geförderten Insolvenzverschleppung wird den Arbeitsmarkt sicher auch nicht beleben. Insofern sind die 5500 zusätzlichen Vermittler und Berater bei der Jobagentur, die von der Regierung gerade beschlossen wurden, eine verständliche kosmetische Maßnahme. Zwar gibt es weiterhin keine Jobs, aber es braucht natürlich Mitarbeiter bei der Jobagentur, die das den ganzen Arbeitslosen auch vermitteln (Deswegen heißen die "Vermittler").

Solche Maßnahmen, die man als kritischer Geist auch zynisch nennen könnte, haben bei dieser Regierung offenbar System. Mich hat es sofort an die 5000 neu geschaffenen Stellen erinnert, die unser hochgeschätzter Gesundheitsminister in der Pflege geschaffen hat. Zwar waren schon vorher 40000 Stellen unbesetzt, weil unter diesen Arbeitsbedingungen und für diese Bezahlung die Nachfrage eher bescheiden ausfällt, aber 5000 neue Stellen vermitteln zunächst mal den Eindruck, es würde etwas gegen den Pflegenotstand getan - kosmetische Politik eben. In dieses Resort fallen auch die 11000 im Zusammenhang mit Corona zusätzlich geschaffenen Intensivbetten, für die überraschenderweise kein Personal vorhanden ist und die deswegen stillschweigend wieder eingestampft wurden.

Mich würde es also wenig überraschen, wenn demnächst in grenzenloser Empathie gegenüber den Künstlern die Schaffung von 5000 neuen Veranstaltungsräumen verkündet wird. Dass Veranstaltungen nicht erlaubt sind und inzwischen nach zahlreichen Selbstmorden und verzweifelten beruflichen Umorientierungen auch immer weniger Veranstalter und Künstler übrig sind, würde wahrscheinlich die geneigten Regierungsanhänger nicht davon abhalten, diese für die Veranstaltungswirtschaft ach so wichtige Maßnahme zu beklatschen.

Apropos Klatsche: Manchmal wähne ich mich in einem riesigen Irrenhaus. Und wie bei McMurphy, der seine Erkrankung nur vorzutäuschen glaubt, stellt sich mir die Frage, wer hier bekloppter ist. Ist es die Anstaltsleitung, sind es die Wärter, sind es die Mitinsassen, oder bin ich es am Ende doch selbst? Einer fliegt aus dem Kuckucksnest...



Achtsam untergehen - 16. November 2020

Um zwischen den täglichen Meldungen zur Vernunftkrise und der lähmenden Ohnmacht ab und zu eine Pause zu bekommen, übe ich mich zur Zeit in Achtsamkeit. Und tatsächlich lässt sich durch die Konzentration auf den Moment die Außenwelt ein Stück weit wegmeditieren. Danach fühle ich mich in der Regel besser und habe wieder mehr Kraft, um die Unbesiegbarkeit der Windmühlen eine Weile hinzunehmen.

In meiner Späthippie-Jugend festigte sich bei mir die Ansicht, dass Kapitalismus ohne eine schützende Staatshand über einzelnen Bereichen (Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Kultur) zu einer unmenschlichen Welt führt, weil hier besonders die (durchaus menschliche) Eigenschaft Gier angesprochen und gefördert wird. Der Mensch ist nicht böse, und er ist nicht gut, er ist einfach nur menschlich. Und als solches hat er auch Bedürfnisse wie z.B. Harmonie, was aber in unserer Welt eben nicht gefördert wird. Weil ich der Gier-Seite nicht selbst zuarbeiten wollte, habe ich mich für Berufe entschieden, die Menschen Freude bringen. Zwischenzeitlich hatte zwar auch bei mir mal die Gier die Oberhand gewonnen und mich in ein BWL-Studium getrieben, aber daraus wurde dann schließlich doch wieder "nur" Kulturmanagement.

Mit meinem Soloprogramm habe ich immer versucht, lustige Unterhaltung mit inhaltlichem Mehrwert zu verbinden. Ich wusste zwar durchaus, dass ich ohne diesen "Mehrwert" sehr viel mehr Erfolg haben könnte, aber nach meinen persönlichen Wertmaßstäben hätte ich dann eben genauso gut Staubsauger oder Aktienfonds verkaufen können. Nichts gegen Staubsauger oder Comedians, aber das ist eben etwas anderes als schützenswerte Kultur (Und Aktienfonds wären ein eigenes Thema...).

Nun muss ich leider erleben, dass zwischen Infektions-gefährdenderen Veranstaltungen wie Techno-Parties und ungefährlicheren Veranstaltungen wie klassischen Konzerten ebenso wenig unterschieden wird wie zwischen reinen Unterhaltungsevents und kulturell wertvollen Veranstaltungen. Dass es bisher z.B. bei den GEMA-Tarifen noch Unterschiede gibt, ist vielleicht ein auslaufendes Relikt aus Zeiten, in denen Deutschland mit seinen kulturellen Errungenschaften noch wertschätzender umgegangen ist. Der einzige aktuell geltende Unterschied ist, ob es sich um systemrelevante Arbeit bzw. Schule handelt oder um Freizeitbetätigungen. Während viele gemeinsame Stunden der selben 30 Personen im Großraumbüro oder Klassenzimmer durchaus das Infektionsrisiko rechtfertigen, dürfen sich die selben Personen ab Verlassen des Betriebsgeländes nur noch jeweils zu zweit treffen. Wäre es nicht so traurig, könnte man es für Polit-Comedy halten. Aber letztlich zeigt es nur überdeutlich die Prioritäten auf: Wo nicht unmittelbar dem System gehuldigt wird, ist es das Infektionsrisiko einfach nicht wert. Vielleicht schauen unsere Politiker neidisch auf die chinesischen Arbeits-Ameisen, dort hat es ja auch mit der Pandemie-Bekämpfung ganz gut funktioniert...

Ich glaube nicht daran, dass die Menschen dem Kapitalismus bald wieder regulierende Werte entgegensetzen werden, dazu grassiert viel zu sehr die Rückgrat-Erosion. Und meine Kommentare zu dieser Entwicklung sind im Grunde nur ein resignativer Bremsweg. Und um nicht allzu oft darüber nachzudenken, wohin das alles wohl führen wird, übe ich mich in Achtsamkeit und meditiere. Dass meine Gelassenheit meist in trauter Zweisamkeit mit Fatalismus unterwegs ist, lässt mich allerdings vermuten, dass in meiner Meditationspraxis noch Luft nach oben ist. Ich nenne es mal Siebeneinhalbsamkeit...



Solokonzert - 29. Oktober 2020

Jahrelang habe ich für meine Konzerte den Begriff "Solokonzert" verwendet, um zu unterstreichen, dass ich den Abend alleine bestreite. Aber ich meinte natürlich alleine auf der Bühne, nicht alleine im Raum. Das Jahr 2020 hat mich nun gelehrt, wie sich ein Künstler ohne Publikum fühlt. Manche meiner Solokonzerte habe ich dieses Jahr sehr genossen, auch wenn mich die Doppelfunktion aus Sänger und Zuhörer schon sehr gefordert hat. Manchmal fand ich mich richtig gut, andere Male fand ich vor allem meine Witze einfach zu vorhersehbar. Und manchmal fühlte ich mich an Woody Allens Definition von Onanie erinnert, dass sie "Liebe an und für sich" ist.

Künstler, die in diesen Zeiten überleben wollen (und diese Frage haben bedauerlicherweise viele Kollegen schon anders beantwortet als ich), müssen sich die benötigte Wertschätzung irgendwie selbst geben. Denn die angeblich das Volk vertretenden Politiker halten Kunst nicht für relevant genug, um auch nur geringste Risiken dafür einzugehen. Während der Umstand einer unfrisierten Politiker-Gattin schlicht unzumutbar und dessen Behebung daher das Gesundheitsrisiko wert ist, kann im Namen der körperlichen Gesundheit auf die geistige Nahrung ja nun wirklich mal verzichtet werden.

"Systemrelevant" heißt der neue Stempel, der für viele Existenzen wie damals Neros Daumen über Fort- oder Untergang entscheidet. Und während für Millionen Menschen (z.B. über 25 Millionen Theaterbesucher im Jahr) Kultur offensichtlich durchaus relevant ist, ist sie das für das "System" offenbar nicht. Obwohl es keinerlei Beleg dafür gab, dass Theater einen wesentlichen Anteil an der Verbreitung des Corona-Virus hatten, wurden die Sitzplätze in erheblichem und die Existenz bedrohendem Ausmaß reduziert. Da das nicht zu einer Reduktion der Infektionen führte (wie auch, da waren ja vorher schon keine), mussten die wenigen Besucher nun während der Vorstellungen Masken tragen. Und da das jetzt auch nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, werden die Theater eben wieder ganz geschlossen. Ich bin zuversichtlich, dass das jetzt endlich wirken wird. Ich erlaube mir eine kleine Analogie: Hätten wir bei zunehmenden Infektionszahlen (ich erspare mir jetzt, auf den Unterschied zwischen Testergebnissen, Infektionen und Erkrankungen hinzuweisen) einfach mal die zuständigen Politiker schallend geohrfeigt und deswegen auf eine Verbesserung der Lage gehofft, hätten wir sie regelmäßig wieder beherzt ohrfeigen können. Das hätte zwar ebenso wenig eine Reduktion der Infektionszahlen gebracht wie die Gängelung und schließlich Schließung der Theater, aber so mancher Künstler wird diese alternative Maßnahme mit mir zusammen für deutlich reizvoller halten.

Wenn aber das sogenannte System viele Dinge anders bewertet als der Mensch selbst, sollte dieser doch mal in der erzwungenen neuen Ruhe über den Sinn dieses Systems nachdenken. Zumindest meiner Meinung nach sollte ein System dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Psychologisch ist es schon nachzuvollziehen, dass das Damokles-Corona-Schwert gezogen wird, um die eigenen Allmachtsphantasien zu befriedigen. Das macht es aber weder richtiger noch legitimer. Wie in diesem Jahr politische Entscheidungen am Parlament vorbei getroffen wurden, ist einzigartig in der Nachkriegsgeschichte. Und dass unser aller Apokalypsen-Prophet Karl Lauterbach nun allen Ernstes in unseren Privatwohnungen die Einhaltung seiner Regeln kontrollieren lassen will, zeigt einmal mehr, dass diese Politiker-Generation von selbst keine Grenzen kennt. Zum Glück funktioniert bisher noch unser Rechtssystem (dieses System dient dem Menschen noch) und kippt regelmäßig die fragwürdigsten Ideen. Ansonsten blieben den Menschen ja auch nur die Guillotine oder vielleicht erstmal doch die oben zitierten schallenden Ohrfeigen, um sich zu wehren. (Insgeheim träume ich von dem Tag, an dem Herr Lauterbach meine Wohnung betritt.)

Ich werde mich in den nächsten Monaten zurücklehnen, ab und zu die Lage ein bisschen kommentieren und ganz in Ruhe zusehen, wie dieses großartige System sich selbst zerstört. Mit der Rekordverschuldung, den Rekord-Insolvenzen und den zerstörten Kultur-Einrichtungen ist die Richtung abgezeichnet. Und vielleicht gebe ich nach dem krachenden Zusammenbruch dieses Systems auf der Asche der Relevanz wieder ein Solokonzert.



Gänsehaut - 22. August 2020

Als Gesangslehrer werde ich regelmäßig mit stilistischen Besonderheiten konfrontiert, die nicht unbedingt meinem persönlichen Geschmack entsprechen. Mal darf ein Ton keine Sekunde ausgehalten werden, ohne eine Phrasierung darauf zu legen (Soul), mal ist die Höhe und die Lautstärke der Stimme wichtiger als der Klang (Rock), mal ist der einzig gewünschte Ausdruck Coolness (Rap), mal muss mit gesungenen Kalendersprüchen Gefühl behauptet werden (Singer/Songwriter). Aber wie ein Busfahrer vielleicht manchmal gerne eine andere Route nehmen würde oder der Chirurg heute mal ein anderes Organ operieren, habe eben auch ich eine Aufgabe übernommen, nämlich Sängern und Sängerinnen zu helfen, sich einem selbstgewählten Ziel zu nähern. Mein persönlicher Geschmack spielt im Unterricht keine Rolle. Deshalb bekomme ich auch fast nie eine Gänsehaut angesichts negativer akustischer Erlebnisse, aber ich bekomme öfter Gänsehaut, weil jemand etwas geschafft und mich damit berührt hat. Ich liebe meinen Job! 😊

Jene Gänsehaut, die gelungenen Horrorfilmen zugeordnet werden kann, befällt mich allerdings öfter, wenn ich noch unentschieden oder auf meine Frau wartend über die Fernsehkanäle zappe. Einerseits gibt es Formate, bei deren Existenz ich mir nicht vorstellen möchte, dass sie tatsächlich eine Zielgruppe erreichen (geschüttelt, nicht gerührt), und andererseits tauchen da Personen auf, bei denen es mir angesichts der realen Existenz (nein, es ist kein Horrorfilm) eiskalt den Rücken runterläuft. Wem es mit Björn Höcke anders ergeht, dem kann auch Steven King nicht mehr helfen.

Politiker haben auch einen Job, nämlich die Welt in ihrem Sinne und dem ihrer Wähler ein Stück weit zu verbessern. Den guten Willen, diesen Job auszufüllen, spreche ich dabei Herrn Höcke so wenig ab wie Herrn Gysi, Frau Merkel, Frau Esken, Herrn Lindner oder Herrn Habeck. Dass ich persönlich in vielen Fällen andere Werte und Wünsche habe, die von diesen Personen nicht abgebildet werden, ist für mich bedauerlich, aber nicht deren Problem. Ich habe die Wahl zwischen diversen Parteien und könnte notfalls sogar eine eigene gründen.

Der Job von Journalisten unterscheidet sich von dem der Politiker darin, dass sie eben nicht selbst versuchen sollten, das Land in eine von ihnen bevorzugte Richtung zu lenken, sondern möglichst ausgeglichen und unabhängig über Ereignisse zu berichten. Es erfordert sicher manchmal gehörige Überwindung, die eigene Meinung aus der Arbeit herauszulassen, da kann ich als Gesangslehrer das eine oder andere Lied davon singen, aber das ist eben unser Job. Ich wäre sicher kein besserer Lehrer, wenn ich den Rapper in Richtung Jazz lenken wollte. Journalisten haben für diesen inneren Meinungsstau die Ventile Kolumne, Glosse und Kommentar, die dann aber aus guten Gründen für uns Leser/Zuhörer/Zuschauer auch so gekennzeichnet sind. Gesangslehrer, die unbedingt ihre eigene Meinung zum Besten geben wollen, können zum Beispiel Blog-Artikel schreiben...

Gänsehaut macht sich bei mir bemerkbar, wenn Journalisten von ihrer "Verantwortung" sprechen, die sie dazu veranlasst, von bestimmten Ereignissen gar nicht oder falsch zu berichten. Natürlich ist es löblich, dass ein Journalist weiß, dass gewalttätige Immigranten Öl ins Feuer der Fremdenfeindlichkeit bedeuten. Er sollte sich aber auch bewusst sein, dass die Filterung von Fakten wiederum Öl ins Feuer der Lügenpresse-Behauptung bedeutet. Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Die Folgen dieser Einflussnahme erleben wir gerade in Form der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Wer ernsthaft daran interessiert ist, die eigene Wahrheit ein wenig mehr zu objektivieren, sollte öfter eine Kristallkugel befragen oder erfolgreich raten. Wenn die Veranstalter der Corona-Demo im eigenen Interesse von 1,3 Millionen Teilnehmern sprechen, nehmen das ja noch nicht mal die eigenen Teilnehmer ernst. Aber die Übertreibung ist aus Marketing-Sicht verständlich. Dass auf der anderen (Regierungs-)Seite ebenso im Werbe-Interesse nur von 17.000 Teilnehmern gesprochen wird, lässt mich ebenso schmunzeln (vor allem angesichts der Bilder von der Demo). Gänsehaut bekomme ich aber, wenn Journalisten in der guten Absicht, die Gesundheitspolitik zu unterstützen, diese untertriebene Teilnehmerzahl unkritisch übernehmen. Es fehlt dann einfach jene "vierte Gewalt", weil sie sich selbst zum Wurmfortsatz der Legislative macht.

Journalisten sind sich oft dieses Spannungsverhältnisses bewusst zwischen Berichterstattung und möglicher "positiver" Einflussnahme. Darüber wird regelmäßig in Redaktionssitzungen diskutiert. Und sicher wird es nicht leichter dadurch, dass von Seiten der Leser/Zuhörer/Zuschauer lautstark und teils aggressiv gefordert wird, dass die Medien ihre Macht nutzen sollen. So dürfe z.B. "solchen Leuten keine Plattform" gegeben werden. Oder wenn überhaupt jemand wie Björn Höcke eingeladen werden darf, dann müsse man ihn "vorführen" und "auseinandernehmen". Selbstverständlich muss sich ein Journalist auf solche Gespräche gut vorbereiten und Widersprüche kritisch hinterfragen. Aber das gilt eben für alle Gesprächspartner, nicht nur für die von der aktuellen Mehrheit unerwünschten Personen. Ich sehe durchaus die Nachteile der Demokratie, und auch die Nazis der 30er Jahre haben das clever ausgenutzt, um sie letztlich abzuschaffen. Da gibt es offensichtlich Optimierungspotenzial, über das ein öffentlicher Diskurs nicht die schlechteste Idee wäre.

Uns allen steht eine Meinung zu, als Privatleute sind wir nicht zu Neutralität verpflichtet. Auch meine hier geäußerte Meinung muss niemand teilen. Aber eine (noch) legale Partei wird gegebenenfalls im Gericht verurteilt, nicht auf der Straße. Auch eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist noch keine Verurteilung, jeder ist unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Dass jemand AFD-Fraktionsvorsitzender des Thüringer Landtags bleiben kann, obwohl es rechtens ist, ihn als Faschist zu bezeichnen, ist irritierend, aber aktuelle Rechtslage. Ich habe Gänsehaut, wenn ich in Wochenschau-Berichten den Wunsch der Masse nach dem "totalen Krieg" höre. Aber ich habe eben auch Gänsehaut, wenn Menschen mit dem Bezug auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Medien auffordern, ihre Neutralität aufzugeben. Und ich habe Gänsehaut, wenn bei sogenannten Diskussionen Argumente der Aggression Platz machen und der Ton zunehmend beleidigender wird. Gerade bei sensiblen Themen wie Asylpolitik, Klimawandel, Geschlechtergerechtigkeit, Pädophilie, Rassismus, Pandemie, Demografie etc. wäre es dringend notwendig, sich gegenseitig zuzuhören und den manchmal verständlichen Ärger runterzuschlucken. Ansonsten sind wir auch nicht besser als es der wütende Mob schon immer war - und erzeugen wegen der vielen falschen Töne Gänsehaut...



Der Segen der Aufregung - 2. August 2020

Dass der schonungslose Blick in den Spiegel und die damit verbundene Handlungsaufforderung ausgesprochen unangenehm sein kann, wissen wir alle von gelegentlich vorkommenden Realismus-Anflügen. Weil diese Selbst-Geißelung auf Dauer aber einfach nicht auszuhalten ist, haben wir ein sehr erfolgreiches Verhalten entwickelt, um uns von unseren eigenen Missständen abzulenken. Zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort findet sich etwas, über das wir uns mit oder ohne Berechtigung trefflich aufregen können. Der rasenmähende Nachbar, der Erziehungsstil der Cousine, das mangelnde Engagement der Lehrer, inkompetente Politiker - irgendeine Unglaublichkeit ist immer verfügbar. Dabei eignen sich selbst Menschen, die sich über etwas aufregen, als Aufreger für die anderen Menschen.

Im zarten Alter von 14 Jahren wurde ich erstmals bewusst mit dem drohenden Klimawandel konfrontiert (und selbst zu diesem Zeitpunkt war die wissenschaftliche Erkenntnis nicht neu). Über den offensichtlich falschen Umgang mit der Natur regte ich mich angemessen jugendlich-leidenschaftlich auf und wurde folgerichtig drei Jahre später Anhänger jener frisch gegründeten Partei, die Umweltthemen in den Fokus stellte. Wie erfolgreich dieses Engagement war, lässt sich an den auch heute noch regelmäßig immer wieder veröffentlichten Artikeln über das Schmelzen des Polareises ablesen. Um diesen inhaltlichen Stillstand zu ertragen, regen wir uns regelmäßig ebenso leidenschaftlich (gut, bei vielen nimmt die Leidenschaft mit zunehmendem Lebensalter ab) über andere Themen auf.

Der Raubtierkapitalismus musste unbedingt bekämpft werden und ist heute mächtiger denn je. Dass irgendwann mächtige Völkerwanderungen aus Afrika drohen würden, hatte ich zwar auch schon in meiner Jugend gelesen, aber trotzdem eignete sich das Thema prima für ein paar Jahre hitzige Diskussionen in den Medien und an den Stammtischen. Die zweite Welle wurde durch einen kostspieligen Wellenbrecher am Bosporus erstmal verdrängt, bis schließlich die erste Welle einer Virusinfektion den angemessenen Aufregungs-Umfang einforderte. Die Maßnahmen zur Eindämmung regen viele Menschen auf, und die Protestanten sind Anlass wütender Beschimpfungen durch andere Menschen. Ich bin schon gespannt, worüber wir uns demnächst aufregen werden, wenn Corona erstmal genügend medial ausgelutscht wurde ("Ich kann's nicht mehr hören!"). Als Übergangs-Aufreger können wir ja immer mal wieder den Klimawandel oder die Flüchtlinge nehmen. Wichtig ist nur, dass uns immer, bevor wir womöglich etwas gegen die Missstände tun, rechtzeitig ein neuer Aufreger einfällt. Wenn zum Beispiel regelmäßig die Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehr, THW von Migranten gewalttätig angegriffen werden, ist es Zeit, endlich mal die Gesinnung der Polizei untersuchen zu lassen. Oder E-Autos zu fördern. Oder Laptops in den Schulen auszugeben. Oder Mietpreisbremsen einzuführen. Oder was auch immer.

Als ich heute Morgen in den Spiegel schaute, war das Anlass, mich mal in einem Blog-Artikel über die Aufregung aufzuregen. Aber ich glaube, jetzt muss ich doch Sport machen...



Time Out - 1. Juli 2020

So kurios dieses Bedürfnis angesichts der ohnehin angehalten Zeit auch ist, aber ich hatte neulich den Wunsch nach einer Auszeit. Meine Frau spricht in diesem Zusammenhang gerne vom Innehalten und Besinnen.

In der nahen Pfalz stieß ich quasi zufällig (Wer an Fügung glauben möchte, findet hier eine gute Gelegenheit.) auf einen Pilgerweg zu einer auf einem Berg stehenden Kirche. Dieser "Jakobsweg light" schien mir jetzt genau das Richtige zu sein. Und anders als auf dem Weg nach Santiago de Compostela ging es hier auch angenehm einsam zu. Extrem steil bergauf und mit zahlreichen Kreuzwegstationen vertrieb dieser Weg meine Gedanken und reduzierte mein Dasein auf die lebenserhaltenden Maßnahmen Herzklopfen und Keuchen. Diese Strapazen würden oben angekommen durch die grandiose Aussicht und die besinnliche Atmosphäre sicher belohnt.

Dachte ich. Was ich nicht gesehen hatte, waren die verschiedenen anderen Wege zu meinem Ziel, die eben auch Fahrradfahrern, Rentnergruppen und Familienausflügen einen bequemen Zugang ermöglichen. Die Aussicht war tatsächlich toll, leider konnte ich aber die 15 schwäbischen Wanderer und ihre ästhetisch grenzwertige Klangkulisse am Aussichtspunkt nicht ausblenden. Ich wusste mir zu helfen und setzte mich 100 Meter weiter in das schöne Wäldchen und hatte von da eine schöne Sicht auf die Kirche und die Rheinebene dahinter. Traumhaft eigentlich, bis die 20köpfige Gruppe von Nordic-Walking-Seniorinnen mit enormem Mitteilungsdrang diesen Platz für sich entdeckten. Nachdem ich zahlreiche für mich persönlich weniger wertvolle Informationen über familiäre Konstellationen, Haushaltskniffe und Krankheitsverläufe gesammelt hatte, bekam ich noch eine Demonstration, wie während eines Familienpicknicks zwei ca. 8jährige Kinder die 6köpfige Familie wirklich gut erzogen. Bevor ich schließlich wieder den Rückweg antrat, erfuhr ich noch alle Vorzüge jenes neuen Fahrrads, mit dem der stolze Besitzer seinen keuchenden Begleiter deklassiert hatte.

So erstaunlich das angesichts dieses unerwarteten Trubels ist, hatte ich irgendwie doch meine Auszeit bekommen. Stundenlang hatte ich nicht an die Dinge gedacht, die ich ja mal hinter mir lassen wollte. Zur inneren Ruhe bin ich zwar nicht in dem Umfang gekommen, wie ich mir das gewünscht hatte, aber mir wurde immerhin klar, dass ich trotz allem schon mehr bei meiner inneren Ruhe bin als so viele andere Menschen. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive...



Zeit aus den Fugen - 16. Juni 2020

Der gleichnamige Roman von Philip K. Dick fiel mir ein, als ich mich entschieden habe, über das Phänomen der Zeitwahrnehmung zu schreiben. Tatsächlich bietet die Gegenwart einigen Stoff für eine Science-Fiction-Handlung, auch wenn man die zur Zeit öfter genannten Reptiloiden mal außer Acht lässt. Am Tag der Vorstellung einer umfassenden Überwachungs-App wäre es zwar vielleicht naheliegender, Parallelen zu "1984" von George Orwell zu ziehen. Aber die meisten Menschen finden diese App ja unproblematisch, weil deren Installation freiwillig ist (von dem moralischen Druck mal abgesehen). Schließlich frisst die Maus den Speck in der Mausefalle auch aus freien Stücken, warum sollte man also Bedenken haben.

Nachdem Anfang des Jahres mein Vater an einer Lungenentzündung (vor den entsprechenden Tests) gestorben war und meine Mutter zeitgleich mit einer plötzlich fortschreitenden Demenz in einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden musste, fielen zahlreiche Erledigungen an, die mich dazu veranlassten, mir für mein Leben eine Vorspul-Taste zu wünschen. Jetzt und Hier schien weniger reizvoll zu sein als Dann und Dort. Wenn alles erledigt sein würde, wollte ich mir ein paar Tage Zeit für mich nehmen. Und dann kam Corona! Zwar konnte ich nirgendwo mehr hinfahren, aber als Sänger, Gesangslehrer und Chorleiter mit Berufsverbot hatte ich jetzt reichlich Zeit. Während ich erfolglos die Taste zum Vorspulen gesucht hatte, muss jemand Anderes die Pausentaste gefunden haben.

Albert Einstein stellte ja schon fest, dass die Zeit relativ zu Masse und Geschwindigkeit ist. Dem kann ich mich eigentlich anschließen, wobei meine Masse und Geschwindigkeit anscheinend auch von der zur Verfügung stehenden Zeit abhängen. Jedenfalls habe ich nicht den Eindruck, dass ich diese Zeit bisher sonderlich effektiv genutzt hätte. Und ich beobachte dieses Phänomen schon länger: Wenn wir viel Zeit haben, schaffen wir oft weniger. Vergeht so eine große Menge Zeit nun schneller oder langsamer? Nach Einsteins Relativitätstheorie würde für das schnell fliegende Raumschiff die Zeit zwar langsamer vergehen, aber innerhalb des Raumschiffs hätte man nichts davon. Nur bei der Rückkehr wären die Insassen eben jünger als die Zuhausegebliebenen. Vielleicht fällt uns ja deshalb die Rückkehr aus dem Corona-Lockdown so schwer, weil die Welt dann inzwischen ganz schön alt aussieht...

Ein anderer Effekt der Zeitverschiebung war die Corona-Soforthilfe, die für viele Bedürftige alles andere als sofort kam. Aber immerhin kam sie! Für drei Monate. Die inzwischen um sind. Und jetzt musste sofort der Autoindustrie und der Lufthansa geholfen werden, für diese merkwürdigen (Müsste es nicht "bemerkenswerten" heißen?) Künstler ist kein Geld mehr da. Irgendwann werden wir Künstler uns dafür fürchterlich rächen und haben dann aber auch keinerlei Aufsichtsratsposten für die Politiker, da können die lange betteln!

Wofür auch immer: Hilfe für notleidende Künstler (nur als Beispiel, andere Berufsstände leiden ebenfalls), freundliche und angstfreie Gesichter, Lächeln und Umarmungen, fröhliche Lieder und singende Menschen. ES WIRD ZEIT! Und diesen Satz sagen wir seltsamerweise immer dann, wenn die Zeit ins Stocken geraten ist. Es war Zeit, es ist Zeit, es wird Zeit, irgendwann kommt die Zeit...

"Wenn der große Kürbis aus dem Kürbisfeld kommt..." aus dem Peanuts-Zeichentrickfilm ist im Grunde auch nur eine gelungene Science-Fiction-Geschichte, nur mit optimistischerem Ende.



Sehnsucht nach Farbe - 29. April 2020

Wahrscheinlich werden sich Einige denken, dass mir wohl gar nichts recht zu machen ist. Ich hatte mich beklagt, dass die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung bei Presse und Volk auf zu wenig Kritik gestoßen waren. Und inzwischen gefallen sich unzählige Privatleute, zahlreiche Journalisten und einige Politiker darin, sich gegenseitig mit immer drastischeren kritischen Formulierungen zu überbieten.

Und doch bin ich ganz und gar nicht zufrieden. Denn was ich mir eigentlich wünsche, ist Differenzierung. Zwischen Schwarz und Weiß sind unendlich viele Graustufen, und daneben gibt es die wundervolle Welt der bunten Farben. Ich halte nach wie vor manche der Maßnahmen für merkwürdig und die Kommunikation der Verantwortlichen für bedenklich. Aber mindestens ebenso falsch und oft überzogen erscheint mir vieles, was von den Kritikern kommt. Es ist nie alles gut, und es ist nie alles schlecht. Um sich eine Meinung zu bilden, muss mann/frau das Hirn bemühen. Und was dann bei bestimmungsgemäßem Gebrauch dabei rauskommt, wird in der Regel irgendwo zwischen Schwarz und Weiß liegen. Natürlich werden bisher die differenzierteren, leiseren Töne weniger gehört, aber genau daran sollten wir in Zukunft arbeiten: Lasst uns auch und gerade die Artikel lesen und jenen Menschen zuhören, die sich nicht radikal auf eine Seite schlagen. Nicht der lauteste Musiker ist der beste, aber der beste sollte mehr gehört werden.

Wenn die Lärmenden bei dem Kampf um Aufmerksamkeit und Anerkennung von uns entlarvt und geächtet werden, sind wir auf dem Weg in eine bessere Zukunft - nicht nur im Fernsehprogramm, Facebook und Instagram, sondern auch bei der Bewältigung von Krisen. Der Coronarr hat ausgedient.



Maskenpflicht! - 22. April 2020

Nun also auch noch die Maskenpflicht. Wäre ja auch ungewohnt, eine Woche ohne zusätzliche Maßnahmen verstreichen zu lassen. Vielleicht kommt ja so die Burka noch zu ungeahnten Ehren.

Niemand kann sagen, ob die bisherigen Maßnahmen wirklich notwendig waren, aber sie waren im Sinne des Ziels erfolgreich, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, um die Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Wäre die sogenannte Herden-Immunität (bei 66%) ohne Maßnahmen vielleicht nach drei Monaten und deutlich mehr Toten erreicht gewesen, können wir nun alle Infizierten adäquat behandeln und müssten die Maßnahmen vielleicht ein halbes Jahr ertragen. Das wäre zwar nicht angenehm, aber logisch nachvollziehbar. Wenn wir uns nicht bemühen würden, die Infektionsrate immer noch weiter zu senken. Wir retten damit keine Leben mehr, denn im Moment muss niemand wegen mangelnder Intensiv-Versorgung sterben. Aber wir verschieben das Erreichen der Herden-Immunität weiter nach hinten, also müssen wir dann vielleicht ein Jahr oder mehr mit diesen Maßnahmen leben. Die immer wieder genannte Alternative zur natürlich erreichten Immunität ist ja die flächendeckende Impfung (von Nebenwirkungen will ich jetzt nicht sprechen), die aber selbst optimistische Experten erst für Mitte 2021 in Aussicht stellen.

Wollen wir also allen Ernstes noch über ein Jahr unsere Kreativität in das Erfinden immer neuer Maßnahmen und die Gestaltung von bunten Masken stecken? Habe ich etwas falsch verstanden, und befinde ich mich in Wirklichkeit nur in einem groß angelegten Adventure-Game?

Ich weiß ja, dass die Äußerung kritischer Gedanken zur Zeit heftigen Widerstand auslöst - meist ohne sich mit den Argumenten ernsthaft auseinanderzusetzen. Aber ich bin natürlich sehr erfreut, dass ich den Maulkorb, den ich jetzt anlegen soll, immerhin selbst gestalten darf.

Fortsetzung folgt leider...



Hände waschen! - 3. April 2020

Als vor einigen Wochen dieser neue Virus in unsere Wahrnehmung kam, wusste niemand etwas darüber. Wie auch, er war ja neu. Aber trotzdem mussten Menschen (sogenannte Entscheidungsträger, deshalb nennt man die so) Entscheidungen treffen, wie es denn nun weitergeht. Jedes langsam verfügbare Achtel- und Viertelwissen wurde dankbar aufgesaugt, um sich die für Entscheidungen nötige Meinung zu bilden. In der Zwischenzeit wuchs der Druck von Seiten derer, die diese Entscheidungen nicht treffen mussten (also von uns), weil man doch nicht einfach untätig zusehen könne. Und da diese Entscheidungsträger bis zu einem gewissen Grad auch auf Zustimmung angewiesen sind, haben sie nicht nur anhand des wenigen Wissens, sondern auch unter diesem Druck entschieden. Niemand, auch nicht sie selbst, wusste und weiß, ob diese Entscheidungen richtig waren. Trotzdem war es gut, dass sie Entscheidungen getroffen haben, denn keine Entscheidung ist eben meistens auch eine, aber meist nicht die bessere. Wozu ich anregen möchte ist, dass wir in Zukunft in unserer eigenen Hilflosigkeit und Angst weniger sinnlosen Druck auf die weitgehend ebenso hilflosen und ängstlichen (weil sie eben auch nur Menschen sind) Entscheidungsträger übertragen.

Dass die zum Teil harten Entscheidungen von den Betroffenen mitgetragen wurden, war natürlich erfreulich. Dieses entschlossene Handeln hat sogar steigende Umfragewerte beschert. Das wiederum machte es den Entscheidungsträgern leicht, immer noch eine Maßnahme nachzulegen. Und wer glaubt, ich meine damit nur die Politiker (bei denen mir pauschales Bashing unterstellt wurde), der schaue sich mal die Maßnahmen in den Supermärkten an. Nach großen Schildern mit Anweisungen kam die Einlasskontrolle, dann die Bodenmarkierungen. Aktuell ist in vielen Supermärkten die Benutzung von Einkaufswagen Pflicht, die anzufassen für viele unnötig und eben auch unnötig gefährlich ist. Entscheidungsträger überbieten sich gegenseitig, wer der am meisten um das Wohl der Menschen Besorgte ist. Meistens gut gemeint, aber manchmal eben schlecht gemacht. (Wenn ich jetzt wieder andeute, dass das auch andere Interessen berühren könnte, löse ich möglicherweise wieder heftige Reaktionen aus.)

Und an dieser Stelle wundere ich mich über die Empfänger dieser Anordnungen (also über uns). Meine Beobachtung ist, dass selbst die kuriosesten Maßnahmen kaum hinterfragt werden - "schließlich ist es ja für unsere Gesundheit". Viele der getroffenen Maßnahmen sind logisch nachvollziehbar, manche aber eben nicht. Und anders als offensichtlich viele um die Gesundheit besorgte Menschen wünsche ich mir, dass wir auch angesichts solcher Bedrohungen nicht aufhören, Dinge kritisch zu hinterfragen. Es ist kein Widerspruch, im Großen und Ganzen die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und trotzdem wach und kritisch zu bleiben.

Inzwischen denken immer mehr Menschen (auch Entscheidungsträger) offen darüber nach, die Restriktionen langsam zurückzufahren. An den nackten Zahlen kann es nicht liegen, die legen eher nahe, dass wir uns auf lange dauernde Maßnahmen einstellen müssen. Und die zeitliche Streckung der Virus-Ausbreitung war und ist ja auch das erklärte Ziel, um in der Stoßzeit nicht das Gesundheitssystem hoffnungslos zu überfordern. Warum also wird trotzdem mit einer baldigen Erleichterung geliebäugelt? Angela Merkel musste deswegen sogar ein Machtwort sprechen, dass sie sich im Moment Diskussionen um die Lockerung der Maßnahmen verbittet. Ein Grund für das Liebäugeln könnte sein, dass die Auswirkungen der Restriktionen auf die Wirtschaft und die Familien unterschätzt wurden und deshalb neu abgewogen werden muss. Ich wäre allerdings zutiefst überrascht, wenn ein Entscheidungsträger zugeben würde, dass aus heutiger Sicht zum Beispiel die Schulschließungen falsch waren. Mir persönlich würde dieser Beweis der Lernfähigkeit imponieren. Aber vielleicht war das Ausmaß der ganzen Maßnahmen ja richtig und die Entscheidungsträger denken trotzdem über die Lockerung nach. Dann liegt der Gedanke nah, dass die kippende Stimmung in der Bevölkerung der Grund ist. Denn als Entscheidungsträger ist man ja wie gesagt auf Zustimmung angewiesen.

In den ersten Wochen hatte ich den Eindruck, dass die Medien zu einhellig und zu wenig kritisch berichteten. Das hat sich inzwischen erfreulicherweise geändert. Täglich erscheinen, auch in seriösen Zeitungen, neue Artikel, die sich kritisch mit den Restriktionen und deren Folgen auseinandersetzen. Natürlich könnten neue Erkenntnisse dahinter stehen, wobei meines Wissens keine neuen wissenschaftlichen Fakten aufgetaucht sind. Aber ein bisschen beschleicht mich das Gefühl, dass auch da wir, das Volk, mit unserer sich ändernden Stimmung den Ausschlag gegeben haben. Die Medien reagieren auf unser Medienkonsumverhalten, denn sie werden an Quoten und Auflagen gemessen. Und wir sind es, die immer neue Schlagzeilen brauchen, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Und wir sind es auch, die lieber Medien konsumieren, die uns sympathisch sind, weil sie unserer eigenen Meinung näher sind. Vielleicht hat es damit zu tun, dass jetzt andere, kritische Themen in den Fokus kommen. Wozu ich anregen möchte ist, dass wir auch den leiseren Tönen mehr Aufmerksamkeit schenken und unseren Medienkonsum weniger von Sympathie und Selbstbestätigung bestimmen lassen.

Dass es heute die Tendenz zur "Blasenbildung" gibt, dass also Menschen sich immer mehr nur noch mit Leuten umgeben, die die gleiche Meinung haben, ist umfangreich wissenschaftlich belegt. Man selbst wähnt sich aber immer außerhalb solcher Blasen, es sind immer die Anderen. Da sind zum Beispiel die Hitler-Sympathisanten, die ihre völkischen Rituale in geschlossenen Kreisen abhalten. Diese Blase ist aber gefühlt so viel größer, weil jeder, der z.B. kritische Fragen zur Asylpolitik stellt, dieser Blase zugeordnet wird. Da sind zum Beispiel die Klimaleugner, die allen Ernstes immer noch an Normalität glauben. Aber auch diese Blase machen wir in unserer Zuordnung so viel größer, weil wir jeden, der kritische Fragen zur Umweltdebatte stellt, hineinpacken. Ehrlich gesagt fand ich bisher beide Blasenzuordnungen wenig problematisch, weil ich jeweils zu den "Guten" gehört habe. Es war mir nicht aufgefallen, wie falsch das ist. (Wenn man kein Jude ist, hält man Antisemitismus für sehr viel weniger verbreitet.) Nun gehöre ich mal selbst zu den Kritikern des Mainstreams und erlebe, wie gut diese Blasenzuordnung funktioniert. In diesem Fall sind die Verschwörungstheoretiker die eigentliche Blase, der von der Mehrheit auch die Kritiker des aktuellen Krisenmanagements zugerechnet werden. Der Mechanismus ist bei allen auffallenden Kritikern der Gleiche: Zunächst bekommen sie heftigen Gegenwind, Zitate werden aus dem Zusammenhang gerissen, der Ton verschärft sich und wird aggressiv, manchmal wird noch offen oder verhohlen gedroht. Und wenn das alles nicht dazu taugt, den Kandidaten wieder auf Linie zu bringen, wird er eben ausgegrenzt und in die jeweilige Blase geschoben, zu der er bisher gar nicht gehört hat. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die miteinander einige Mehrheit auch nichts anderes ist als eine gigantische Blase von Menschen, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen.

Ich bin besorgt, weniger um unsere körperliche Gesundheit als um den Umgang in unserer Gesellschaft. WIR ALLE tragen Verantwortung dafür und können unsere Hände eben nicht in Unschuld waschen.



In der Ruhe liegt die Langeweile - 30. Dezember 2019

Mehr als fünf Monate ist es her, dass ich meinen letzten Blog-Artikel geschrieben habe. Im Stress vor der Veröffentlichung meines neuen Albums hatte ich wohl einfach "keine Zeit". Aber nach dem Release-Konzert am 1.12. konnte ich endlich wieder tief durchatmen und einige Dinge aufarbeiten, die liegengeblieben waren. Und jetzt, da ich alles aufgeholt habe, fällt mir mal wieder lächelnd auf, warum ich mich für dieses Leben entschieden habe: Es lässt mir regelmäßig die Ruhe, um mich wieder richtig zu spüren und auch wieder ein bisschen Langeweile zu bekommen. Langeweile ist etwas Wundervolles, denn aus ihr erwächst die Kraft der Kreativität. Kinder fangen dann an, in scheinbar nutzlosem Müll Spielsachen zu sehen. Und ich schreibe mal wieder einen Blog-Artikel...

Auch für die Zeit nach dem Ende dieses Artikels ist gesorgt: Ich möchte einige neue Möbelstücke bauen, mal wieder ein Theaterstück schreiben, ein Streichquartett komponieren. Dass ich endlich auch wieder neue Songs schreiben und weiterhin mit Frau und Kind das Leben genießen möchte, sind fast schon selbstverständliche Nebensachen.

Für das neue Jahr nehme ich mir mal wieder nichts Neues vor, denn das kommt ja von ganz alleine, wenn man es lässt. Aber was auf jeden Fall eingeplant werden muss, ist regelmäßige exzessive Langeweile bis zur Unerträglichkeit.

Fortsetzung folgt...



"Keine Zeit!" - 26. Juli 2019

Mein Leben lässt mir fast täglich die Zeit, mir einen Überblick über die aktuellen Ereignisse zu verschaffen und ein bisschen über die Welt nachzudenken. Manchmal mündet das dann in ein Lied, ein Gedicht oder eben einen Blog-Artikel. Manchmal texte ich statt dessen auch Menschen persönlich zu, die nicht rechtzeitig "Keine Zeit!" gerufen haben und zu ihren unverzichtbaren Freizeit-Aktivitäten davon geeilt sind.

Ich frage mich bei diesen Menschen, ob sie mehr Angst vor meinen Gedanken haben oder davor, dazu eine Meinung vertreten zu sollen. Ja, ich unterhalte mich gerne. Keine Ahnung, warum man Videospiele, Fernsehserien und diverse Events als Unterhaltung bezeichnet, wo hier doch die Einseitigkeit eher einer (meist dümmlichen) Predigt gleichkommt.

Warum widmen sich so viele Menschen so selten ihrer Familie oder sich selbst? Und warum kommen sie immer wieder mit dem allgegenwärtigen "Keine Zeit!" durch? Gut, es ist nachvollziehbar, dass die meisten irgendwo ihr Geld verdienen müssen, um z.B. Essen und Miete zu bezahlen. Ziehen wir also von den 168 Wochenstunden mal 50 Stunden für Arbeit (inkl. Pause und Fahrt) ab sowie weitere 63 Stunden für Schlaf und Körperpflege (wobei kaum jemand glaubt, Zeit für täglich 8 Stunden Schlaf zu haben...). Frühstück, Abendessen und Hausarbeit berechne ich mal mit 14 Wochenstunden. Es bleiben also ca. 41 Stunden übrig, die eigentlich sinnstiftend gefüllt werden könnten. Wenn wir jetzt mal ehrlich zu uns selbst sind und die Stunden aufaddieren, die wir mit elektronischen Medien (Handy, Tablet, Computer, Fernseher...) zubringen, erklärt sich schnell, warum wir tatsächlich "Keine Zeit!" haben.

Da für soziale Kontakte so wenig Zeit ist, wurden "soziale Netzwerke" geschaffen (wobei die Frage ist, ob ohne diese Netzwerke nicht viel mehr Zeit wäre für soziale Kontakte). Manche Menschen sind ja so konsequent, dass sie auch dafür "Keine Zeit!" haben. Aber die große Mehrheit nimmt sich wenigstens die Zeit, sich darzustellen. Oder Beiträge zu kommentieren, die sie nicht gelesen haben. Oder Fragen zu beantworten, die von Anderen schon zigfach beantwortet wurden. Wer in aller Ruhe Beiträge und die dazugehörigen Kommentare liest, versteht spontan, woher Comedians oder je nach persönlicher Neigung auch Selbstmörder oder Terroristen ihre Motivation bekommen.

Draußen scheint die Sonne. Meine Gitarre lechzt ebenso nach meiner Aufmerksamkeit wie diverse Bücher und natürlich meine Tochter. Ich schreibe einen Blog-Artikel und muss ihn dann bei Facebook einstellen.... Keine Zeit!



Tauschhandel - 14. Juni 2019

Im Zuge der Enttäuschung vom immer unmenschlicher empfundenen Kapitalismus hat sich eine Szene aus meist jüngeren Menschen entwickelt, die Waren und Dienstleistungen lieber miteinander tauschen als sie auf dem sogenannten Markt mittels Geld zu kaufen oder verkaufen. So fallen z.B. die aus gutem Grund bereits in der Bibel und im Koran verbotenen Zinsen weg, die in unserem System die Reichen erwartungsgemäß immer noch reicher machen. Noch im Jahr 1187 schrieb die katholische Kirche: "Wucher ist all das, was bei einem Leihgeschäft über die Leihgabe selbst hinaus zurückverlangt wird." Später hat es sich die Kirche dann aus naheliegenden Gründen anders überlegt und betreibt ja bis heute z.B. die Vatikanbank.

Tausch ist die älteste Handelsform und hat lange gut funktioniert. Ziege gegen Brot war prima, hatte allerdings den Nachteil, dass die ersehnte Ware nicht unbedingt bei dem zu bekommen war, der das haben will, was ich gerade anbieten kann. Der Bäcker, der zwar im Überfluss Brot hatte und nun gerne Butter auf sein Brot schmieren wollte, kam mit seiner neu erworbenen Ziege nicht wirklich weiter. Also musste er nun jemanden finden, der Butter anzubieten hatte. Und der wiederum hatte möglicherweise kein Interesse an Ziegen. Deshalb musste nun jemand her, der etwas für die Ziegen geben würde, das der Butter-Anbieter gerne haben möchte - ein bisweilen langwieriges Geschäft, durch das die Ziege ganz schön rumkam.

Im 15. Jahrhundert hat sich dann das Geld als Tauschmittel durchgesetzt. Nun konnte der Bäcker das Geld, das er für sein abgegebenens Brot bekam, auch nicht aufs Brot schmieren, aber er konnte damit direkt die Butter kaufen, anstatt erst noch diverse Tauschgeschäfte tätigen zu müssen. Eigentlich ganz praktisch, wenn sich dadurch nicht nach und nach eine Gier nach dem eigentlich wertlosen Tauschmittel entwickelt hätte, das sich dann dank der inzwischen erfundenen Zinsen auch noch selbst vermehrte. Je mehr die Religionen an Bedeutung verloren, desto mehr wurde und wird der Mammon verehrt. Die dem heiligen Geld gewidmeten Tempel (Banken, Börsen etc.) lassen schon rein äußerlich die Kirchen ziemlich alt aussehen.

Inzwischen ist es wohl unstrittig, dass wenige Reiche immer reicher werden, während die große Mehrheit nur geringe Chancen hat, in diesem Sinne irgendwann aufzusteigen. Trotzdem werden Kapitalismus-Kritiker von Menschen, die lieber ihr Geld für sich arbeiten lassen, als das selbst zu tun, immer noch als naiv gebrandmarkt. Das Schöne ist nun, dass diese Naivität der Jugend eben zusteht und sich so vielleicht doch langsam etwas verändern kann. Dass junge Menschen wieder politischer werden und nicht mehr die Mantren der freien Marktwirtschaft ungeprüft übernehmen, macht jedenfalls Hoffnung.

Tauschhandel funktioniert, auch wenn er manchmal lange dauert. Um mich damals auf die Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule vorzubereiten, habe ich viele Monate lang kostenlos Gesangsunterricht bekommen, ohne dass ich ein nützliches Tauschobjekt zu bieten hatte. Anders hätte ich nicht studieren können. In den letzten 16 Jahren meiner Selbständigkeit als Gesangslehrer habe ich meinerseits immer wieder Schüler kostenlos unterrichtet, für die es sonst nicht möglich gewesen wäre. Auf diese Weise habe ich die offene Rechnung von damals doch noch beglichen. Und naiv, wie ich aus Überzeugung bin, glaube ich, dass meine ehemaligen Schützlinge das irgendwann ihrerseits weitergeben werden.

In diesem Sinne habe ich einen Vorschlag: Schenkt Eurem Gegenüber ein ehrliches Lächeln, auch wenn Ihr dafür erstmal nur ein dummes Gesicht bekommt. Nach diversen Tauschgeschäften (Warum sollte ein Lächeln weniger weit reisen dürfen als eine Ziege?) kommt es wahrscheinlich irgendwann plötzlich und unerwartet zu Euch zurück. So können wir dem unmenschlichen Geld-Kreislauf einen menschlichen Kreislauf des Lächelns entgegen setzen... 😊



Junges Gemüse - 5. Mai 2019

Da mein aktueller Wohnort Schwetzingen seine Bekanntheit neben den Schwetzinger Festspielen (Ja, Mozart war mal für ein paar Stunden hier...) vor allem dem Spargel verdankt, huldigen die Einwohner diesem königlichen Gemüse einmal jährlich in Form eines speziellen Festes. Anlässlich dieser in diesem Jahr witterungsbedingt spärlich besuchten Veranstaltung landete ich schließlich mit Frau und Kind zum Abendessen in einem thailändischen Restaurant. Unter einer mächtigen Kassettendecke gallopierte also meine Phantasie dahin...

"Die ganze Welt ist wie verhext. Veronika, der Spargel wächst!" Dieser gemüsigen Zweideutigkeit leistete das Stadtmarketing Schwetzingen vor einigen Jahren noch Vorschub durch Plakate mit ausgeprägtem Kussmund auf Stangenspargel. Vielleicht liegt es allein an meiner besonderen und in diesem Fall thematisch gelenkten Phantasie (Man sehe sich nur die ganzen Wassertürme hier in der Gegend an!), dass mir bei der Kombination von Spargel, teutonischer Deckengestaltung und Thailand die inzwischen 21 Jahre alte Tatortfolge "Tatort Manila" einfiel, in der das Kölner Ermittlerduo mit jenem speziellen Tourismuskonzept konfrontiert wurde.

Soll noch einer sagen, meine lebendige Phanasie sei ein Segen. Das Essen hat aber trotzdem geschmeckt.



Zivilisationskrank - 17. März 2019

Immer wieder lese ich von Zivilisationskrankheiten, wobei jeweils gerne ein "Nummer eins" dahinter gesetzt wird. Zunächst denke ich dann oft, dass es ja wohl nichts Neues ist, dass unsere Zivilisation krank ist. Unser Umgang mit Tieren, Menschen und Umwelt ist definitiv pathologisch. Aber meine Erst-Reaktion ist meist ein Missverständnis des Begriffs.

Gemeint sind Krankheiten, die entstehen, weil unsere Lebensumstände (noch) nicht unserer Natur entsprechen. Da die Evolution nicht schnell genug nachkommt, gibt es Krankheiten wie Maus-Arm, SMS-Daumen, Smartphone-Nacken, aber auch diverse Allergien, Diabetes, Übergewicht, Burnout und chronische Rückenschmerzen. Aufmerksame Beobachter könnten auf die Idee kommen, dass die Zivilisationskrankheit Nummer eins die allgemeine Verblödung ist. Die Tüte Chips während der Abnehm-Show ist jedenfalls ebensowenig ein Intelligenz-Beweis wie die Whatsapp-Nachricht während der Autofahrt oder die karrieregeile 80-Stunden-Woche. Je nach persönlicher Bewertung könnte man den Menschen auch für intelligent halten, weil er/sie sich systematisch selbst zerstört - welche Einsicht! Andererseits könnte man auch die Evolution selbst für ziemlich gaga halten, weil sich erfahrungsgemäß die Blöden, Gierigen und Aggressiven durchsetzen. Wenn dahinter ein göttlicher Plan steckt, dann muss ich ihm einen merkwürdigen Humor attestieren.

Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts gibt es den Begriff der Psychosomatik. Wir wissen also schon ziemlich lange, dass viele körperliche Krankheiten eine seelische Komponente haben. Oft könnten wir schon früh auf seelische Probleme reagieren, verdrängen sie aber lieber. Deshalb werden wir dann körperlich krank. (Sagt die Seele zum Körper: "Geh Du voran, auf mich hört er nicht.") Der moderne Mensch sucht aber hinter materiellen Problemen auch materielle Ursachen. Natürlich wären Menschen mit weniger Fast Food auch weniger fett, hätten mit mehr Bewegung weniger Rückenschmerzen und hätten bei weniger Handy-Konsum auch keinen Smartphone-Nacken. Aber die spannendere Frage wäre doch, warum sich Menschen einreden, dass ihnen dieser Ernährungs-Müll schmeckt. Warum sie sich vor Bewegung drücken. Und warum sie vom Smartphone nicht mehr weg kommen. Oder auch, warum ich einen Blogartikel schreibe, anstatt in der Zeit z.B. Liegestützen und Situps zu machen.

Wenn sich nicht nur der einzelne Mensch der Frage verweigert, was hinter seiner/ihrer Zivilisationskrankheit steht, sondern diese Verdrängung breite Teile der Bevölkerung betrifft, dann ist eben doch die Zivilisation krank - sag ich doch!



Was soll das? - 12. Februar 2019

Was sich Herbert Grönemeyer schon 1988 recht erfolgreich gefragt hat, drängt sich auch mir regelmäßig in dieser Jahreszeit auf: WAS SOLL DAS? Vielleicht liegt es am Lichtmangel und dem dazugehörigen Dauergrau, vielleicht sind es die vielen ebenfalls eher griesgrämigen Menschen, vielleicht auch einfach nur der Mangel an stimmungsaufhellenden Miniröcken. Aber ungefähr im Februar melden sich bei mir jedes Jahr die Sinnfragen: Warum gebe ich mir so viel Mühe, gute Liedtexte zu schreiben, wenn die meisten Zuhörer doch offensichtlich mit dem Einheits-Radio-Brei voll und ganz zufrieden sind? Warum schleppe ich Licht- und Tonanlagen durch die Gegend mit dem Preis sonntäglicher Rückenschmerzen, wenn ich doch stattdessen altersgemäß im warmen Wasser einer Therme schweben könnte? Warum schreibe ich Blog-Artikel, die nur eine Handvoll Menschen lesen? Und so weiter...

Die Antwort ist schlicht: Ich habe keine Ahnung! Aber mir fällt dazu immer ein Witz ein: "Mama, wann kommt denn nun endlich Amerika?" "Sei still und schwimm weiter!" Die Wahrscheinlichkeit, dass wir schwimmend Amerika erreichen (was auch immer wir dort auch wollen sollten, aber das ist eine andere Geschichte), ist eher gering. Die Angst davor, dass uns irgendwann die Kraft ausgeht und wir jämmerlich im Ozean der Dummheit ertrinken, ist absolut berechtigt. Vielleicht schaffen wir es zu einer Insel, wo wir Einheimischen ulkige Namen geben und ihnen das Lesen beibringen können (So liest einer mehr meine Blog-Artikel.). Vielleicht werden wir auch von einem Schiff gerettet, das uns wahlweise nicht an Land bringen darf, weil irgendwelche Menschen Angst um ihren Zweit-Geländewagen haben, oder auf dem die Oberflächlichkeit derart zelebriert wird, dass wir ständig erwägen, lieber wieder über Bord zu springen. Aber wahrscheinlich schwimmen wir einfach immer weiter, weil die im Moment verfügbare Alternative noch blöder wäre.

Im Jetzt und Hier ist die sinnlose Sinnfrage dran (und dieser Blog-Artikel), alles andere entscheide ich im Dann und Dort.



Gute Vorsätze - 31. Dezember 2018

Immer wenn ein Jahr zuende geht, liegt es nahe, sich zur besseren Gestaltung des neuen Jahres etwas vorzunehmen. Man fasst gute Vorsätze. Wobei sich ja schon die Frage stellt, was an einem Vorsatz, der mit Qual verbunden ist, denn gut sein soll (oder ist das wieder so ein SM-Ding?). Vielleicht sollten wir lieber von üblen Vorsätzen mit erwünschten Folgen sprechen. Aber so oder so: Wenn der Vorsatz so gut ist, warum brauchen wir dann ein neues Jahr dafür?

Im Strafrecht spricht man vom Vorsatz, wenn willentlich gehandelt wird, obwohl die Umstände bekannt sind. Angesichts der Tatsache, dass die wenigsten Vorsätze eine längerfristige Umsetzung erfahren, muss man wohl mutmaßen, dass die Umstände eher nicht bekannt waren. Die Selbsterkenntnis der eigenen Faulheit ist eine deprimierende Ausnahme und fällt ausschließlich in die Zeit zwischen der Aufgabe des Vorsatzes und dem nächsten Jahresende. Wenn also die Umstände (mal wieder) nicht bekannt waren, handelt es sich auch nicht um Vorsatz. Und das ist auch recht praktisch, denn der Vorsatz wäre ja strafbar. Insofern handelt es sich bei unseren Neujahrs-Visionen juristisch eher um gute Fahrlässigkeiten, bei glaubhaft versicherter Selbstschutz-Amnesie wohl sogar um leichte Fahrlässigkeiten. Da sind wir also fein raus, denn selbst der dümmste gute Vorsatz ist damit straffrei - wie die Blödheit eigentlich immer.

Andererseits deutet der Umgang mit diesen Vorsätzen auf eine multiple Persönlichkeitsstörung hin: Im alten Jahr fasst das eine Ich einen guten Vorsatz, und das bekommt dann das andere Ich im neuen Jahr vorgesetzt. Und zwar gegen seinen Willen, denn wer außer den Berliner Philharmonikern wählt selbst den Vorgesetzten aus? Im Laufe eines Jahres kommen da so einige Ichs zusammen: Dem zuversichtlichen Ich folgt ein überfordertes Ich; dann kommt das enttäuschte Ich (wer auch immer es getäuscht hatte), um dann beizeiten wieder dem verzweifelten Ich die Konstruktion von Visionen zu überlassen. So geht das zuverlässig wie die Jahreszeiten, bis dem Schicksal irgendwann die Geduld ausgeht. Wobei ja auch die Jahreszeiten nicht mehr das sind, was sie mal waren.

Für das neue Jahr nehme ich mir also vor, in meiner Unzulänglichkeit und der ständigen Arbeit an mir selbst der zu bleiben, der ich bin. Ich möchte auch weiterhin nicht ankommen, ich bin längst auf einem Weg angekommen, den ich weiter gehen möchte.

Aber für meine Bohrmaschine habe ich einige ziemlich gute Vorsätze...



Meinungs-Bäcker - 5. Oktober 2018

Zu den befriedigensten Tätigkeiten in den eigenen vier Wänden zählt das Brot-Backen. Obwohl die Herstellung den Hobby-Bäcker durchaus wertvolle Zeit kostet und der Gang zum Supermarkt schneller und unter dem Strich meist auch preiswerter zu bewerkstelligen wäre, knetet unser Protagonist seine durch zahlreiche Rezepte und Fehlversuche gefundenen Zutaten mühsam von Hand. Und der aus dem heißen Ofen kommende Laib wird dann gerne liebevoll gestreichelt, während das ganze Haus von dem archaischen Duft frisch gebackenen Brotes durchzogen wird. Damit haben auch jene Hausbewohner etwas davon, die sich nicht selbst eine Scheibe davon abschneiden können oder wollen. Und auch wenn Brot nur von Wenigen und das auch nur ab und zu selbst gebacken wird, besteht wohl breite Einigkeit darüber, dass es eine ursprüngliche, wertvolle und sehr befriedigende Tätigkeit ist.

Weniger Einigkeit besteht offensichtlich darüber, dass auch die Herstellung einer eigenen Meinung eine ursprüngliche, wertvolle und befriedigende Angelegenheit darstellt. Im Vorbeihuschen wird im Supermarkt Internet noch schnell ein Meinungs-Brot aus dem gut sortierten Regal gezogen und während anderer Tätigkeiten nebenbei verschlungen und der Verdauung preisgegeben. Nicht selten sind dann konsequent ignorierte Unverträglichkeiten die Folge. Dass Dünnschiss schon vor der Verdauung welcher war, wird leider oft übersehen. Natürlich kann man sich nicht jederzeit und zu allem eine eigene Meinung backen, deshalb ist der Gang zu einem Meinungs-Bäckerei-Fachbetrieb wie ARD und ZDF manchmal nötig, aber das ist ja immer noch besser als die industriell gefertigte Meinung aus dem Internet-Regal. Und wenn die Zeit für das Mahlen des Mehls etc. fehlt, bleibt ja noch die Möglichkeit, die eigene Haltung auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Meinungs-Backmischung mit Hilfe einiger selbst gewählter Zutaten zu verfeinern. Was dann später in der Backofen-Hitze zahlreicher Diskussionen mit Andersdenkenden entsteht, ist sowohl gesund als auch nachhaltig und durchzieht die Welt ausgesprochen angenehm mit dem Duft von Klugheit. Vielleicht schneidet sich ja der Eine oder die Andere eine Scheibe ab...



Buchstabensparkasse - 10. August 2018

Vielleicht ist es nur eine Begleiterscheinung meines fortgeschrittenen Alters, vielleicht bin ich auch einfach manchmal überfordert, jedenfalls fällt mir auf, dass ich bei meinen Emails, WhatsApp-Nachrichten, SMS etc. zunehmend Buchstaben vergesse. Wenn ich dann die jeweilige Nachricht nochmal lese, fällt es mir (leider erst nach dem Senden) auf, und dann liefere ich die fehlenden Buchstaben nach. Das führt manchmal zu mehr Verwirrung als der vorherige Mangel, aber als anerkannter Sprachpedant kann ich leider nicht anders.

Weil mein Hirn ganz gerne auf Nebengleisen unterwegs ist, frage ich mich, was denn mit den einzeln nachgelieferten Lettern außer der eigentlich notwendigen Korrektur noch so anzufangen wäre. Spontan fällt mir ein Online-Scrabble ein, wobei sich angesichts der Tatsache, dass ich sehr viel mehr Konsonanten als Vokale vergesse, das Spiel dann wohl in tschechisch anbieten würde. Oder man könnte namenstechnisch diverse Parteigründungen vorbereiten und so die frei flottierenden Buchstaben in Dreiergruppen mehr oder weniger sinnstiftend wiederverwerten. Möglicherweise hätte auch Dieter Bohlen Verwendung dafür, um neue Verblödungs-Shows zu benennen. In alten Krimis werden oft Erpresserbriefe aus einzeln ausgeschnittenen Buchstaben zusammengesetzt. Das wäre auch in meinem Fall im Prinzip eine ausgezeichnete Idee, wenn denn das Vollwaisenletterdasein online überhaupt zu erkennen wäre. Sonst weiß ja niemand den kreativen Akt meiner anonymen Forderung angemessen zu würdigen. Überhaupt: Was sollte ich denn fordern? Ginseng-Wurzeln, damit ich künftig weniger kryptisch schreibe? Oder Geld, um damit einen Ghostwriter zu bezahlen? Aber die Texte eines Geisterschreibers kämen Euch dann womöglich auf der falschen Internet-Seite entgegen.

Draußen ist es zur Zeit sehr heiß (das erklärt manches...), das legt auch den Gedanken nahe, meine für die Empfänger meist überflüssigen Buchstaben-Nachlieferungen einfach ins Sommerloch zu werfen. Aber vielleicht wäre das dann eher ein Zwischen- als ein Endlager und würde deswegen wütende Proteste nach sich ziehen. Und die Folge wären dann teure Schriftzeichentransporte in Länder, die zwar auch kein besseres Endlager haben, aber eben mit ihren Buchstaben weniger zimperlich umgehen. Und in ferner Zukunft gibt es dann die literarische Katastrophe. Am Anfang war nämlich nicht das Wort, sondern der Buchstabe.

Inzwischen habe ich mich entschieden, eine Bank zu gründen, wo Ihr alle Eure im Moment noch nicht gebrauchten Zeichen für die spätere Verwendung anlegen könnt (Gebt mir ein Zeichen!). Je nach Wirtschaftslage bekommt Ihr später noch das eine oder andere Komma oder Fragezeichen zusätzlich zurück.

Vielleicht schreibe ich demnächst mal einen Artikel über das Themen-Surfen...



Zum Glück zwingen
(oder 50 shades bei 38 Grad)
- 1. August 2018

Es gibt eine Menge Dinge, die uns gut tun und an die wir gerne denken. Und die wir trotzdem nicht tun. Warum braucht es eigentlich so eine große Überwindung, um mal wieder ausschließlich (und nicht nebenbei) Musik zu hören? Oder ein gutes Buch zu lesen, Sport zu machen, wandern zu gehen oder mal ein paar Tage alleine (nicht zu Freunden, nein, so richtig allein) Urlaub zu machen?

Na klar, es gibt natürlich auch Dinge, die uns nicht schwer fallen und uns trotzdem gut tun. Die abendliche kühle Dusche nach einem heißen Sommertag kostet weniger Überwindung. Vermutlich weil die Belohnung unmittelbarer ist. Der Gedanke "Dann werde ich morgen besser geschlafen haben" ist sicher weniger Ansporn als das unmittelbare "Ahhhhhhhhh!".

Dummerweise wollen wir immer mal wieder Dinge tun (also eigentlich getan haben), für die wir eine gewisse Überwindung brauchen. Wir müssten Zeit, Energie, Grips aufwenden und verschieben es lieber, bis wir irgendwann dafür bereit sind. Das ist dann entweder nie oder eben erst dann, wenn die Überwindung weniger schlimm ist als das Aufschieben. Druck hilft! Wie so viele Begriffe (Disziplin, Stolz, Ehre...) ist auch "Druck" in Verruf geraten. Man dürfe niemandem Druck machen, weil das sonst die freie Entfaltung verhindert. MUMPITZ! Ohne Druck entfalten sich die meisten Menschen höchstens auf dem Sofa. Leistung erfordert ein gewisses Maß an Druck, den man sich idealerweise selbst macht (ohje, jetzt sind wir auch noch bei Selbst-"Disziplin"). Oder der von außen z.B. durch begrenzte Zeit vorgegeben wird. Ich jedenfalls habe auf keine Prüfung jemals frühzeitig gelernt. Und ich denke, damit befinde ich mich in guter, oder sagen wir riesiger Gesellschaft.

Nun habe ich mir mal wieder vorgenommen, ein neues Bühnenprogramm zu schreiben. Und ich schreibe durchaus gerne, aber idealerweise werde ich dafür in aller Ruhe und regelmäßig von der Muse geküsst. Allerdings ist diese Muse relativ asketisch und zur Zeit auch noch hitzebedingt träge. Also habe ich mir kurzerhand Druck erschaffen und einen Premierentermin ausgerufen: Am 7. Dezember 2018 spiele ich diverse neue Lieder, die ich irgendwann noch schreiben werde. Nicht dass ich mich nicht zigmal selbst verfluchen werde, bis es schließlich soweit ist, aber auf jeden Fall werde ich bis dahin sicher sehr viel mehr geschrieben haben, als ich das ohne Druck schaffen würde. Und nach meiner Erfahrung sind Lieder, die unter Druck geschrieben wurden, auch nicht schlechter als jene, für die die Muse leidenschaftlich geknutscht hat.

Also denn, ich weiß, was ich zu tun habe: Die Pflanzen gießen, die Wäsche waschen, endlich mal aufräumen... Ach ja: Und einen Blog-Artikel schreiben...



Spahn-Ferkel - 10. April 2018

Dass Politiker Unsinn erzählen, ist längst an der Tagesordnung und kaum dazu angetan, unser Misstrauen in diese Gattung Mensch zu verringern. Das ist auch nicht neu, schon George Bernhard Shaw nannte die Politik ein Paradies zungenfertiger Schwätzer.

Allerdings gibt es dann doch einen Unterschied, ob das Hirn, dem der jeweilige Unsinn entsprungen ist, grundsätzlich eine zu mehr nicht taugliche Hardware darstellt, oder ob ein im Prinzip der Intelligenz verdächtiger Mensch jegliches Einfühlungsvermögen missachtet und verbale Brandbomben wirft. Insofern gibt es eben auch einen Unterschied zwischen der Aussage, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, weil Deutschland vom Christentum geprägt sei (Die Moschee hier im Schwetzinger Schlosspark z.B. wurde rund hundert Jahre vor dem Beitritts Bayern zu Deutschland gebaut.) und andererseits der Behauptung, Hartz-IV-Empfänger seien nicht arm. Die erste Aussage ist dumm, die zweite "nur" falsch und unanständig.

Und Menschen, die Unanständiges von sich geben, werden schon mal als Ferkel bezeichnet, daher der Blog-Titel. Folgerichtig will die breite Masse und deren Sprachrohr-Medien dieses Ferkel nun aufspießen und grillen. Und wenn der Scheiterhaufen erstmal errichtet ist, soll die Hexe, äh das Ferkel, auch gegrillt werden. Da kann das Ferkel dann grunzen, was es will, es hat ausgegrunzt. Da regt sich doch das lynchwillige braune Pack tatsächlich darüber auf, dass der kommende Spießbraten uralte rechte Forderungen nach Recht und Ordnung erhebt. Da muss ich leider sagen, dass das Ferkel im Vergleich zu den Sau-dummen Mitläufern noch das kleinere Übel ist.

Was soll's, Maiskolben sind mir sowieso lieber...



"Ist das Kunst oder kann das weg?"
Beides! ...oder auch
"Fifty shades of Stockhausen"
- 8. April 2018

Heute Morgen wurde ich via Facebook mal wieder indirekt dazu aufgefordert, offener für die "klassische" Musik der letzten 70 Jahre zu sein. Ich habe ja selbst klassischen Gesang an einer Musikhochschule studiert und mich jahrelang mit der dort so genannten modernen Musik beschäftigt. Ich sage das, weil ich mich der Ignoranz und Dummheit unverdächtig machen möchte, die den Feinden der Neutöner von der Avantgarde-Polizei gerne unterstellt wird. Ich bin ein neugieriger Mensch und suche ständig nach spannenden Entwicklungen in jeder Art der Kunst. Dafür habe ich mir schon so manchen Dokumenta-Besuch und manches Festival der neuen Musik angetan und habe mich meist belästigen aber manchmal auch höchst angenehm überraschen und inspirieren lassen.

Der im Zusammenhang mit der Entsorgung eines Werks von Joseph Beuys durch eine Putzfrau "Ist das Kunst oder kann das weg?" überlieferte Satz ist für mich ganz oft mit einem klaren "Beides!" zu beantworten. Gerade die Kunst der letzten 70 Jahre (in Musik, Literatur, bildender und darstellender Kunst) ist häufig "Konzeptkunst", bei der die Idee und das Konzept sehr viel bedeutender sind als das Werk selbst. Ich habe schon mit viel Respekt und manchmal auch Freude Partituren von Karlheinz Stockhausen gelesen, aber hören will das eigentlich niemand, von ein paar Akustik-Masochisten abgesehen (quasi "Fifty shades of Stockhausen").

Und dann gibt es da noch jene Wichtigtuer und Bildungs-Simulanten, die in ihren schwarzen Klamotten und ihren Architektenbrillen von Donaueschingen bis Kassel jedes Festival der Unverständlichkeit besuchen, um ihre avantgardistische Haltung und ihr Kunstverständnis öffentlich zu behaupten. Dabei braucht gerade die Moderne (die nur so heißt, aber niemals modern war und es auch niemals werden wird) wegen der Abkehr von den bestehenden Regeln kaum klassisches Kunstverständnis, ein paar nachzuplappernde Zeilen aus dem FAZ-Feulleton reichen völlig aus.

Gerade wir hier in Deutschland mit unserer unseligen Trennung von ernster und unterhaltender Musik sollten uns mal ein paar Gedanken darüber machen, ob spannende und nachhaltige Impulse nicht schon immer auch aus der unterhaltenden Musik kamen. Analog zum Verdi-versierten Pizzabäcker habe ich noch keinen Schnitzel-Koch Wagner-Arien trällern hören. Ja, auch ich würde mir von den Menschen viel mehr Offenheit und Neugier wünschen (SWR1 beweist genauso das Gegenteil wie Klassik-Radio), aber erstens ist das kein neues Phänomen (Goethe lässt sich in seinem Faust im "Vorspiel auf dem Theater" z.B. auch schon darüber aus.), und zweitens trägt die unglaublich bornierte Kunstwelt in erheblichem Maße dazu bei.

Ein Musik- oder Deutschlehrer, der sich z.B. dem Hip Hop verweigert, gehört mit Schimpf und Schande aus der Schule gejagt. Und Komponisten, die nur ihren Intellekt, nicht aber ihre Seele in ihre Stücke einfließen lassen, haben vielleicht Wikipedia-Einträge verdient, nicht aber, dass sie mit ihren Werken das friedlich schlafende Haydn-Mozart-Beethoven-Abonnement-Publikum aufwecken dürfen. Aufwecken wäre ja prima! Aufwecken, neugierig machen! Überzeugen, dass es sich lohnt, die Musik aus dem verstaubten Dachstübchen zu holen! Aber Kunst jeglicher Art, ob neu oder alt, die Menschen nur langweilt, darf gerne vergessen werden.

Der Autor jenes Artikels (der Dirigent Baldur Brönnimann), der mich provoziert hat, diesen Text zu schreiben, meinte noch, die bildende Kunst hätte es leichter als die Musik (auch so ein Phänomen: ICH habs immer am schwersten...), weil in den Museen die aktuelleren Werke besser eingebunden werden. Tatsächlich ist es aber so, dass der Uninteressierte diesen Werken im Museum einfach ausweichen kann. Er besucht die Ausstellung nicht oder schaut Bilder, die ihm nicht gefallen, einfach nicht an. In der üblichen Konzertpraxis aber werden Stücke angeblich zeitgenössischer und inzwischen längst überholter Komponisten meist zwischen zwei etablierte Stücke platziert, damit das Publikum nicht fliehen kann. Diese Praxis ist meiner Meinung nach nur begrüßenswert, wenn das zeitgenössische Stück das Potenzial hat, das Publikum trotzdem abzuholen, es zu begeistern und neugierig zu machen auf weitere Stücke dieser Art. Bönnimann schlägt übrigens durchaus geeignete Werke vor, wird aber von den Veranstaltern eingebremst.

Inzwischen gibt es viele junge Komponisten, die wieder Wert auf Harmonie und Melodie legen, die also hörenswert wären und sehr zu empfehlen sind. Aber nach den zahlreichen Erfahrungen des Abonnementpublikums mit den Kompositions-Sadisten und -Onanisten lehnen sie inzwischen alle Komponisten ab, die noch keine hundert Jahre tot sind. Das ist schade, aber verständlich. Das können die Programmgestalter ändern, indem sie endlich die Stockhausens & Co. aus den Spielplänen verbannen und langsam wieder Vertrauen bei den Hörern aufbauen. Das Publikum ist bequem, aber nicht dumm. Fordert die Menschen, aber quält sie nicht! Der Kunst-Müll kann weg, und die Masochisten werden trotzdem ihre Folterkeller finden und sich weiterhin ihren Stockhausen-Peitschen aussetzen...



Tik - Tak - Tik - Taktik - 4. März 2018

Nun hat sich die Mehrheit der SPD-Mitglieder also für den Eintritt in eine neue große Koalition entschieden. Eine taktische Entscheidung aus Angst vor dem Abschneiden bei einer Neuwahl. Eine Entscheidung für die sofortige Beteiligung an der Macht-Simulation und gegen die von vielen erhoffte Erneuerung der ehemaligen Volkspartei und ganz allgemein der politischen Landschaft. Ich hatte ja auf einen Weckruf gehofft, aber der deutsche Michel ist eben kein Engländer oder Amerikaner. Abgesehen von der Wiedervereinigung, die es ohne das verlockende Konsumangebot im Westen möglicherweise so nicht gegeben hätte, ist die deutsche Geschichte vergleichsweise arm an Revolutionen.

Die Posten sind schon lange verteilt, dem kleinen Herrn Kühnert wird von den Abstimmungs-Siegern eine große Zukunft prophezeit - ein tröstendes Lob, dessen Verlogenheit bei mir Würgereiz auslöst. Dann also weiter so! Das Scheinargument aller Lemminge "Das haben wir schon immer so gemacht." schlägt also mal wieder zu. Ich würde ja auf eine starke Opposition hoffen, wenn die nicht von einer braunen Comedy-Truppe angeführt würde.

Ja, möglicherweise hat sich die SPD durch ihre Entscheidung ein paar Prozentpunkte für weitere 3,5 Jahre gesichert. Ich fürchte nur, dass die fortgesetzte Mutlosigkeit der Regierungsparteien noch wesentlich mehr Menschen nach einer Alternative für Deutschland suchen lässt. Und ich weigere mich zu sagen, dass ich das verstehen kann.

Eine Zeitbombe. Tik, tak, tik, tak.....



Demokratie, im Durchschnitt richtig - 13. Februar 2018

Als ich mich in meiner Jugend über das eine oder andere Detail in Deutschland kritisch äußerte, bekam ich regelmäßig die konstruktive Antwort "Geh doch nach drüben!". Später fiel dann diese Alternative, die für mich nie sonderlich reizvoll war, durch Eingemeindung der DDR auch noch weg. Bis heute hält sich hartnäckig die Ansicht, dass das, was wir hier und heute unter Demokratie (oft in Tateinheit mit der freien Marktwirtschaft) verstehen, das bestmögliche System sei. Nun habe ich kein fertiges Konzept in der Schublade, wie das alles perfekt funktionieren könnte. Es wäre allerdings auch weitgehend wirkungslos, weil es bis zu einer möglichen Entscheidung so lange dem demokratischen Kompromisszwang ausgesetzt wäre, bis aus dem Sturm der notwendigen Veränderung inzwischen ein laues Lüftchen geworden wäre.

Diktaturen sind gefährlich, weil Macht den Menschen korrumpiert. Insofern ist der Wunsch, die Macht auf viele Schultern zu verteilen, verständlich und klug. Dummerweise bleibt nichts ohne Folgen: Während aus dem Diktator meist ein selbstherrlicher Despot wird, verlieren in der Demokratie die Einzelnen oft die Fähigkeit, selbst Verantwortung zu übernehmen. Vor lauter Angst, sich verantworten zu müssen, wird bis zur völligen Untätigkeit abgestimmt und selbständige Entscheidungen als "undemokratisch" gebrandmarkt. Unangenehme Entscheidungen werden ausgesessen, bis sich Probleme von selbst erledigen. Wer das für übertrieben hält, möge mal in aller Ruhe das Verhalten des eigenen Chefs beobachten...

Um die Problematik demokratischer Prozesse zu veranschaulichen: Zwei hinter einem Baumstamm versteckte Tier-Fotografen sind sich uneins darüber, ob links oder rechts am Baum vorbei das bessere Foto vom Hirsch geschossen werden könnte. Nach langer Diskussion entstehen unter dem Willen zum Kompromiss zwei Fotos von der Baumrinde. Das ist nicht weiter schlimm, denn während die beiden diskutiert haben, ist der Hirsch sowieso längst woanders. Beide Fotografen alleine hätten ein besseres Foto gemacht. Vielleicht hätten sogar beide parallel gute Fotos machen können, wenn sie sehr vorsichtig und leise aufeinander achtend den Hirsch nicht verscheucht hätten. Und später hätte man darüber entscheiden können, wessen Bild nun das bessere ist.

Politiker aller Couleur sind sich seit Jahrzehnten einig, dass eine große Steuerreform nötig wäre. Es gab auch diverse in sich schlüssige Konzepte, die aber nach langem Kompromiss-Ringen am Ende (wenn überhaupt) lediglich in verschlimmbessernde Paragraphen mündeten. Ja, es gehört Intelligenz, Empathie, Mut und Rückgrat dazu, auch mal einer anderen als der eigenen Meinung aus konstruktiven Gründen konsequent zuzuarbeiten. Aber genau diese Eigenschaften fordere ich von Chefs, Politikern und Freunden, sonst kann ich sie nicht wählen. Und nur solchen Menschen kann man sinnvollerweise gute Vorschläge machen.

Apropos Demokratie: Wieviele Schulen hätten wir besser ausstatten können mit dem Geld, das für den Druck und den Versand der Koalitionsverträge an 463.732 SPD-Mitglieder ausgegeben wird?



Gro-Ko - 9. Februar 2018

Nun haben sie sich also geeinigt. Nach vier Monaten heißer, naja lauwarmer Luft sind sie sich jetzt bei den wirklich wichtigen Themen (also der Posten-Verteilung) näher gekommen. Die Bewegungs-Lähmung, die inzwischen seit Jahrzehnten die Menschen von den Wahlkabinen fernhält oder ersatzweise zu merkwürdigen Partei-Simulationen treibt, soll also weitergehen. In Zeiten, in denen die größte politische Eruption das Gedankenspiel einer Bundes-Merkel in Jamaica darstellt, wünscht man sich den Einschlag eines Intelligenz-Asteroiden, begleitet von einem ausdauernden Rückgrat-Regen. Bevor nun wieder wie gewohnt jede gute Idee durch die Demokratie-Presse gedrückt wird, bis nur noch unbeweglicher Kompromiss-Matsch übrig ist, haben die SPD-Mitglieder nochmal die Chance, dem gewohnten politischen Tiefschlaf einen erweckenden Paukenschlag entgegen­zusetzen. Nicht dass sich dadurch wirklich etwas ändern würde, aber eine kleine renitente Kante im Windkanal-Dasein würde mir durchaus gefallen. Wie würdet Ihr eigentlich "Großes Kotzen" abkürzen?



Ich blogge, also bin ich - 20. Januar 2018

Einer konservativen oder gar reaktionären Haltung unverdächtig, habe ich mich trotzdem lange gegen Facebook gewehrt. Bis ich schließlich doch nachgegeben habe und mich inzwischen bisweilen bei dem Versuch erwische, andere Skeptiker vom Nutzen dieses Mediums zu überzeugen. Irgendwie fühle ich mich bei diesem Thema an einen Zettel an der Eingangstür des Kölner Mietshauses erinnert, in dem ich mal gewohnt habe: "Bei Nicht-Schließen der Tür bitte Tür schließen!" Was durchaus auch als dadaistischen Gedicht durchgehen würde, war sowohl ein Widerspruch in sich als auch eine nachvollziehbare Information. Seit Jahrzehnten halte ich die Fahne der Konsequenz hoch und erweise mich dann in solchen Themen als konsequent inkonsequent. Auch wenn ich (noch) nicht meine Toilettengänge dokumentiere und bisher mein Essen noch eher mit der Gabel als bei Facebook teile, arbeitet mein subversives Unterbewusstsein vielleicht schon an einem Drehbuch für ein Katzenvideo - süüüüüß...

Auf der Suche nach der eigenen Identität hatte ich in meiner Spätjugend zahlreiche philosophische und spirituelle Bücher verschlungen und mir als Lebensziel "Weisheit" verordnet. Ich sah mich wie Buddha selbst (figurtechnisch war das visionär) in völliger inneren Ruhe auf einem Felsen sitzen. Ich würde lächelnd schweigen und nur dann kluge Antworten geben, wenn mir von Ratsuchenden Fragen gestellt würden. Aber während die Weisheit ja schon per Definition nicht zu erreichen ist, erwies sich das Abwarten und lächelnd Schweigen für mich als ähnlich schwieriges Unterfangen. Niemand muss bei mir erstmal eine Frage stellen, um meine Meinung zu erfahren, dazu fehlt mir definitiv die buddhistische Gelassenheit. Folgerichtig ist mein Selbstbild vom Buddha zum Don Quichote mutiert. Ja, ich weiß, dass ich gegen Windmühlen kämpfe und nicht gewinnen kann - na und?!

Gefühlt taucht jedes Jahr ein neues Medium auf, das mir die Zeit stehlen will, weil gerade ich als Liedermacher mich ihm doch nicht verschließen kann. Ich twittere nicht (bis ich Präsident werde), ich bin nicht bei Instagram und Google+, und bisher habe ich auch nicht gebloggt. Tja, da war er wieder, der Bumerang hoch gehaltener Ideale. Wie ich prüfend in den Spiegel schaue, bevor ich aus dem Haus gehe, werde ich von nun an regelmäßig meine sprachlichen Ergüsse lesen (wenn es auch vielleicht sonst niemand tut) und notfalls noch eine Lip-Glosse auflegen...